Toten-Welt (German Edition)
zur Tat entschlossen, in ebendieser Tat. Er wird davon lassen.
Ihre Mutter hatte danach gehandelt und verloren. Kam wohl auf den Feigling an. Oder eher auf das, wonach Maria ihrerseits handelte: Spiele mit den Regeln, oder die Regeln spielen mit dir.
Maria empfand es als besonderen Reichtum ihres Lebens, keinen gewöhnlichen Getreidebrei essen zu müssen, tagein tagaus, wie die meisten Bauern, sondern mit der Abwechslung des Waldes würzen zu können. Nur der Fürstbischof speiste wohl königlicher.
Sie hatte vor Tagen ein frisch verendetes Rebhuhn gefunden und dessen Fleisch als Vorrat getrocknet. Dazu die Wildkräuter, etwas Salz, das ein fahrender Händler ihr geschenkt hatte, das Ei einer wilden Henne, die gelegentlich im Dorf vorbeischaute, und schon war der sonst so eintönige Brei das reinste Festmahl.
Sie hatte ihre Holzschüssel halb leer gelöffelt, da sah sie, auf dem Bänkchen vor ihrer Hütte sitzend, einen Mann herantorkeln. Er stützte sich an eine Eiche, verharrte, als sammle er Kraft, stieß sich leicht ab, schaffte ein paar taumelnde Schritte und wäre der Länge nach hingeschlagen, wäre es ihm nicht gerade noch gelungen, sich an der nächsten Tanne abzustützen.
Sie stellte ihren Brei beiseite, stand auf und ging dem Mann langsam entgegen. Sie witterte keine Gefahr, aber die Bewegungen des Fremden waren so eckig und ungelenk, dass ihr ein leiser Schauder über den Rücken lief. Erst als sie sich gegenseitig auf 20 Schritte angenähert hatten, sah sie das Blut. Es genügte ein weiterer Schritt, und der Schock fuhr ihr in die Glieder.
Sie war sicher, einen Geräderten vor sich zu haben, der aus den unheimlichsten Gründen vom Rad gestiegen und mit seinen zertrümmerten und blutig zerschrammten Gebeinen sich zu ihr auf den Weg gemacht hatte. Man erzählte sich in der Stadt die Sage über einen Mann aus Frankreich, der auf dem Rad sein Leben einfach nicht hatte aushauchen wollen. Nach bald zwei Wochen unsäglichster Marter band man ihn los, gewährte ihm Gnade, heilte seine zerstoßenen Knochen und entließ ihn in ein geläutertes Leben, so die Hoffnung. Doch er mordete erneut, wurde zum zweiten Mal gerädert, diesmal zu Tode.
Sie war stehen geblieben, starr vor Schreck, aber der Verletzte hatte sich von der Buche, an der er lehnte, abgestoßen und so viele Schritte auf sie zu bewegt, dass sie ihn erkannte, bevor er vor ihren Füßen zusammenbrach.
„Köhler, bist du das?“
Sie warf sich neben ihm auf die Knie und drehte ihn auf den Rücken. Sein Gesicht war zerkratzt bis auf die Knochen und ein Auge zerstochen. Was ihn aber am meisten entstellte, war die zerdrückte Nase. Ohne Nase war ein Mensch kaum zu erkennen.
Sie untersuchte seinen Körper und fand noch weit schlimmere Wunden. Der Brustkorb war derart zerschmettert, dass sie, als sie die blutgetränkten Fetzen seines Hemdes entfernte, zwischen den hervorspießenden Rippenbrüchen die Wellen des Herzschlages sehen konnte.
Aber es durfte nicht mehr schlagen! Ein derart zerquetschter Mann hatte tot zu sein, nicht herumzulaufen!
„Ich fällte einen Baum. Er stürzte auf mich, und...“
„Nicht sprechen!“
„...wäre er nicht noch mal hochgefedert nach dem Fall und von... mir runter, ich läge noch... dort.“
Wie konnte er sprechen, ohne eigentlich Atem schöpfen zu können mit seinem zerstörten Brustkorb?
„Es tut so weh. Überall. Heilst... du mich? Wie damals, als ich die Lepra hatte?“
Sie schaute ihn an und schüttelte den Kopf.
„Du kannst so nicht weiterleben. Das ist unmöglich. Lass deine Seele ziehen. Wehre dich nicht dagegen.“
„Aber ich wehre mich nicht. Ich rief, weil die Schmerzen so, so... ich rief nach Gevatter Tod, aber der... hatte wohl Besseres zu tun.“
„Er wird bald kommen. Ich richte deine Knochen, wenn er da war, und bereite dir ein schönes Grab.“
„Richte sie jetzt. Bitte.“
„Die Schmerzen wären unerträglich.“
„Das sind sie jetzt schon. Bitte. Mach, dass ich gerade liege.“
Und Maria begann damit, die Brüche zu begradigen. Sie zog seine Arme in die Länge, so dass die Knochen aus den offenen Wunden verschwanden. Sie hob sein Brustbein mit den bloßen Fingern und stützte es mit Rippentrümmern, dass ein neuer Bogen entstand, unter dem das Herz wieder freier schlagen konnte, so lange es noch schlagen mochte.
Er stöhnte bei jedem Eingriff und gab sein Bewusstsein dahin. Aber noch immer lebte er. Sie kauerte eine Weile neben ihm und beschloss dann, vor Ort das
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