Toten-Welt (German Edition)
einer Leichtigkeit, als sei er ein Sack Federn, und richtete ihn über dem kaum noch erkennbaren Erdhügel zurecht.
„Ich weiß, wer in Wahrheit deine Elixiere mixt. Ihm darfst du’s schon gar nicht sagen.“
„Diesem einen muss ich es sagen. Aber sonst niemandem, ich verspreche es.“
„Er ist...“
„Ich weiß, was er ist. Aber nur der Kutte nach. Er ist das, was er ist, um helfen und heilen zu können.“
„So wie mir, meinst du?“
Sie stieß ihre Fäuste in die Taschen und schwieg. Die geweihte Erde, die sie zuvor eingesteckt hatte, drückte sie an den Fingern. Gedankenverloren drehte sie die Tasche um, sah die Krümel rieseln und bückte sich rasch, um sie wieder aufzuheben und noch mehr zu umkrallen.
„Hier, nimm das.“
Sie hielt dem Köhler zwei Handvoll Erde entgegen. Er öffnete seine Hände und fing sie auf.
„Ja, und?“
„Komm mit.“
Sie führte ihn zu einem der wenigen Gräber mit einem metallenen Kruzifix.
„Fass das an.“
„Bist du jetzt schon so verrückt wie die?“
„Die Figur. Versuche sie anzufassen.“
Der Köhler ließ seine Finger über den gekreuzigten Heiland streifen. Maria beobachtete ihn genau und sah gar nichts an ihm, das irgendein Gefühl ausgedrückt hätte.
„Keine Schmerzen?“
„Das ist Unfug.“
„Ich spreche mit einem, der tot sein müsste.“
„Und zwar schon seit Monaten. Der Händler, der mir die Lepra anhängte, ist längst unter der Erde. Er hatte nicht Bruder Hermanns Elixier.“
„Bisher dachte ich, das seien ein paar Kräuter, und der Glaube an die Genesung sei’s vor allem, was die Leute heilt. Aber allein der Glaube lässt keine Toten auferstehen und Wunden sich schließen in kürzester Zeit.“
„Weißt du, was ich glaube?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich hab genug Holz aufgeschichtet in meinem Leben und die Glut entzündet und Erde darüber gepackt. Wenn ich die Erde entferne, ist da kein Holz mehr, sondern etwas völlig anderes, die schwarze Kohle. Es ist aber kein Gott und kein Satan, was das gemacht hat, sondern nichts als die Naturkraft des Feuers. Ich weiß nicht, warum das so ist, und ihr wisst nicht, warum euer Elixier wirkt. Aber die Kraft kommt aus der Natur. Und da soll kein Hexenhammer drüber richten.“
Der Fürstbischof ließ seinem königlichen Zorn freien Lauf. Das war es, was ihn vom kleinen Landgeistlichen in wenigen Jahren ins höchste Amt getragen hatte, auch ohne Adelstitel: seine Redegabe. Er war nicht besonders fest im Glauben, aber er konnte es so wirken lassen mit seiner schmetternden, überschnappenden Stimme. Er hatte selten die besten Argumente, aber der Körpereinsatz des wuchtigen kleinen Mannes, wenn er erst mal in Wut geraten war, machte aus seinen Worten Hieb- und Stichwaffen.
„Und das ist nun der Dank für alles, was ich für diese Stadt getan habe!“, brüllte er im hohen Saal die Ratsherren an. „Ihr lasst mich anhalten, mit der Waffe, und kontrollieren wie einen Strauchdieb?!“
Der verordnete Bürgermeister strich sich mit zwei Fingern über seinen Oberlippenbart, um sein Schmunzeln zu verbergen. Deshalb brauchte er etwas länger, um ernst antworten zu können. Es fiel aber nicht auf, da niemand wusste, ob der Redeschwall mit dieser letzten Anklage wirklich endlich Raum für eine Erwiderungen zuließ. Vermutlich wusste es nicht einmal der Fürstbischof, aber nach einen heftigen Räuspern und einer schmerzvollen Anwandlung im Gesicht ob einer Attacke seines armen gepeinigten Rückgrates kam er tatsächlich zur Ruhe. Sein Magen war ein großer leerer Sack, dessen Verlangen nach Tätigkeit ihn schwächte. Verwundert, aber auch etwas alarmiert stellte er fest, dass kein Happs an Braten bereitstand, kein Brot, kein Ei, kein Brei. Nicht mal ein Kelch Wein war aufgetragen worden. Nicht mal Bier!
Seine Kehle verlangte nach Ölung.
„Setzt Euch, bester Freund...“, wollte der Bürgermeister anheben, aber damit legte er die Lunte an ein noch immer geladenes Schwarzpulvergeschütz.
„Was erlaubt Ihr Euch!“, schrie der Fürstbischof. „Ich verlange die Anrede, die meines Standes gebührt!“
„Natürlich verlangt Ihr das, aber genauso vergeblich wartete ich bisher auf eine Anrede, die meines Standes würdig ist.“
Der Bürgermeister lächelte, als er den Fürstbischof aschgrau werden und nach Luft schnappen sah.
„Seht, ich habe nach Euch schicken lassen...“
„Schicken?! Ihr nach mir? Wenn Ihr das je wagen solltet, werde ich die Stadt besetzen und kurz und klein
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