Toten-Welt (German Edition)
Erlösung teilgenommen, die in seiner kargen, kleinen Kammer stattgefunden hatte mitten in der Nacht. Und niemand hatte seine Rückkehr bemerkt.
Aber sie würden es merken, begäbe er sich unter sie, da war er sicher. Was würde dann geschehen? Die natürliche Ordnung der Dinge war auf den Kopf gestellt. Vielleicht, wenn er mit Menschen in Berührung käme, wäre das der Auslöser der Apokalypse. Aber mochte auch sein, wenn er das Richtige tat, würde er die Herrschaft Satans noch verhindern können.
Wer hatte ihm das angetan? Bruder Hermann hatte ihm den Trank verabreicht, aber der war im Glauben fest und nie und nimmer mit den bösen Mächten im Pakt. Die Hexe war es, die im Kloster ihr Unwesen trieb. Sie hatte Bruder Hermann mit einem Bann belegt und war auch der Grund für sein eigenes Unglück. Sie war mächtig, wie ihm gerade bewiesen wurde. Sie lockte die Toten in ihr wüstes Dorf. Sie war anders, aber was sie war, vermochte er nicht zu sagen. Die Lehren seines Glaubens waren unzureichend, um zu beschreiben, was er witterte.
Es war entsetzlich! Diese finsteren Gelüste, die da in ihm erwacht waren!
Schon deshalb hatte er nicht im Kloster bleiben können. Beim Anblick seiner Mitbrüder war ein unwiderstehlicher Drang in ihm aufgestiegen, seinen Hunger an ihnen zu stillen. Er musste sich fernhalten von allem, was warm und nach Leben roch, damit kein Unglück geschehe.
Die Hexe roch anders. Auch der Dunst aus Bruder Hermanns Zelle hatte ihn abgestoßen. Und das lag nicht allein an der Gegenwart des Weibes. Sein Fleisch war bereits verderbt, genau wie das ihre, aber wiederum anders als sein eigenes oder das der alten Frau im Totenhemd. Die beiden waren noch warm, aber würden sie erst erkalten, würde ihr Fleisch genauso dem Verfall trotzen wie jetzt das seine.
Wo gehörte einer wie er überhaupt hin? Spielte es jetzt noch eine Rolle, irgendwohin zu gehören? Sein Denken, das noch einmal zurückgekehrt war, wurde ehedem schwächer, während die Gelüste immer heller glommen. Es war eine Veränderung aus dem tiefsten Innern. Und es ging nicht darum, ob er sie wollte oder bereit war, sie zuzulassen. Eher ging es darum, das letzte bisschen Mensch, das noch in ihm schwelte, für eine letzte große Tat in Wirkung zu setzen. Er wusste noch nicht, welcher Art diese Tat sein würde, aber er war entschlossen, sie zu vollbringen.
Kapitel 5: Maria stört eine Hinrichtung
Maria war schon da, als Hermann sich durch die Büsche drängte und ihren Treffpunkt erreichte. Sie saß auf dem verwitterten Bänkchen vor dem vergessenen Haus, das sie gefunden und sich für ihre Begegnungen ausgesucht hatten vor bald zwei Jahren schon. Damals war sie fast noch ein Kind gewesen und er ein Jüngling mit dem Wissen eines greisen und weitgereisten Gelehrten.
Bis heute war es ihr ein Rätsel, woher er all die Ungeheuerlichkeiten nahm, die in seinem Geist hervorsprossen aus Bibeltexten, die er vollständig auswendig kannte, den Taktiken der Kriegsführung, den Talenten eines Königs, der ein Reich zu verwalten hatte, der Heilerfahrung eines Medikus und den Gaben eines Klang-Genies, das Musik erdachte und zu höchster Vollendung trieb.
Das alles passte nicht zusammen und war doch die Grundlage für seine Heilmittel. Er mischte und kombinierte und komponierte, er griff an und wich aus, er betete und versenkte sich und geißelte sich, er archivierte seine Kenntnisse und die Ergebnisse seiner Forschungen, um Altes, Verfehltes heranzuziehen und mit etwas gerade Entdecktem das nie Dagewesene zu schaffen.
Obwohl ihr das, wohin sein Wirken nun geführt hatte, Angst machte, glühte sie doch vor Stolz, einem Mann zu gehören, der bedenkenlos Regeln brach, nicht einmal vor den Gesetzen der Natur Achtung kannte und die Erde nun sogar zwang, ihre Toten wieder herzugeben.
Ihre Wut auf ihn war verraucht und etwas gänzlich Anderem gewichen. Die Stimmung, in der sie war, begriff er sofort, als er die Masse ihres offenen und ausgebreiteten Haares erblickte, die nackten Brüste und die Weichheit in ihrem Blick.
Sie war von sich selbst überrascht, und das war ihr auch anzusehen. Bis vor wenigen Augenblicken hatte sie aufrecht sitzend verharrt, die Haare zum Knoten gebunden und selbstverständlich bis zum Hals verhüllt. Sie hatte über die Leiche der alten Frau nachgedacht und darüber, wie man sie loswerden, diesen möglichen Auftakt der Apokalypse zurückdrängen und zum gewohnten Verlauf des Lebens zurückfinden konnte. Nicht, dass sie ihr
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