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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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unruhiger beim Anblick der vertrauten Kutte, die er nun als seinem Orden zugehörig erkannte, und suchte unter dem Oval des Kapuzenrandes nach dem Gesicht.
    „Ist Euch nicht wohl, Herr?“, war es abermals Maria, die den Mönch ansprach. Er gab einen Laut von sich, der wohl ein Wort sein sollte, aber nicht verständlich war, und hob sein Gesicht ins Mondlicht.
    „Bruder Daniel!“, rief Hermann überrascht. „Falls du nach mir suchst...“
    Er hielt inne, ohne unterbrochen worden zu sein. Was hätte er auch folgen lassen sollen? Er hatte keine Erlaubnis und keine Ausrede für seinen nächtlichen Aufenthalt in diesem Dorf. Allein mit einer Jungfer. Bruder Daniel stand in der Klosterhierarchie über ihm und war bekannt für seine Entschlossenheit, die Gebote der Entsagung seines Ordens besonders streng auszulegen.
    Maria war einen Schritt zurückgetreten. Sie kannte diesen Bruder Daniel nicht, aber die Schwere, mit der er sein Haupt bewegte, die verdrehten, ins Leere starrenden Augen und die noch immer steife Haltung des Mönchs ließen sie wiedererkennen, was sie bereits den anderen Toten angesehen hatte. Sie taten sich schwer, sich gegen ihre Leichenstarre anzubewegen. Sie hatten ihr Sprachvermögen kaum noch unter Kontrolle. Und erst jetzt fiel ihr eine weitere Gemeinsamkeit auf: Sie stanken entsetzlich nach Kot, Urin und ersten Anflügen von Verwesung.
    „Hermann, war Bruder Daniel zuletzt sehr krank?“, fragte sie vorsichtig. „Oder hatte er sich verletzt?“
    Die beiden Mönche verharrten in einer Art Lauerstellung. Der eine war zu erschrocken, um etwas zu tun oder zu sagen, der andere wohl zu tot.
    „Ich weiß es nicht.“
    „Hast du ihn jemals mit deinem Mittel behandelt?“
    „Ja, vor einem Monat etwa. Er hatte...“
    „Was?“
    „Beschwerden, die nicht einzuordnen waren. Ich wollte ihm nur wohltun.“
    „Welcher Art waren diese Beschwerden?“
    „Ein Gefühl von Enge im Leib. Die Lunge stach ihm. Und er hatte wohl sehr starke Schmerzen im linken Arm. Nichts Ernstes.“
    „Das nennst du nichts Ernstes? Als Medikus bist du wahrlich nicht zu gebrauchen.“
    „Warum? Was hatte das zu bedeuten?“
    „Es war wohl nicht die Lunge, die ihm stach.“
    „Und was sonst?“
    Sie schüttelte den Kopf und wandte sich dem anderen Mönch zu, der sich nicht vom Fleck gerührt, aber den Kopf hin und her bewegt hatte. Seine Blicke, das hatte sie wohl bemerkt, waren nicht dem Gespräch gefolgt, und es hatte ihn unberührt gelassen, dass es um ihn gegangen war. Was er tat, war wittern. Es schien ihr, als sauge er Hermanns und ihren Geruch in sich ein und prüfe die Qualität ihrer Absonderungen.
    Sie trat einen Schritt auf ihn zu und versuchte, seinen Blick einzufangen. Da er die Augen nicht auf sie richten wollte, wagte sie es, ihm die Kapuze abzustreifen, seinen Kopf zu umfassen und ihr so zuzuwenden, dass er sie endlich ansah. Inzwischen war der Morgen nah genug, um die unnatürliche Bleiche und Gelähmtheit seiner Züge erkennen zu können.
    „Daniel, beantworte mir folgende Frage.“
    Ihr fiel die Vertrautheit ihrer Anrede auf, die ihr ganz von selbst entstanden war und passend schien. Auch ohne das, was sie bereits wusste, hätte sie geahnt, dass dem Mann vor ihr nichts von dem mehr wichtig war, was ihn in seinem Menschenleben beschäftigt hatte.
    „Daniel!“
    Sie sagte es laut und herrisch, da seine Aufmerksamkeit trotz ihrer Berührungen nicht auf das gerichtet war, was sie sagen wollte, sondern auf das, was sie ausdünstete.
    „Wenn nicht ich es war, die dich zu dem gemacht hat, was du jetzt bist, und da wir uns überhaupt nicht kennen, sage mir, warum du dennoch zu mir gekommen bist und nicht zu Bruder Hermann.“
    Sie hatte ihn erreicht. Seine Augen fraßen sich in die ihren, ein schwaches Restleben kehrte in sein Gesicht zurück, aber der Ausdruck war beängstigender als die Starre der Leichenhaut. Als sei ihr ein Blitz in die Finger gefahren ließ sie ihn los. Es war die böse Energie des Hasses, die als letzte menschliche Regung seines vergangenen Lebens noch einmal in ihn zurückgekehrt war.
    „Hure!“
    Seine Stimme war ein finsteres Gurgeln, das Wort kaum zu verstehen und nur zu deuten, weil seine Augen, seine Nase und sein Mund das gleiche Zusammenspiel an Verzerrung wiedergaben wie sie es aus anderen Gesichtern kannte, deren Stimmen sie Hure oder Hexe genannt hatten, und sei es nur als Flüstern hinter ihrem Rücken. Die Wachmänner der Burg. Das Weibsvolk aus der Stadt.

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