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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Verachtung.
    „Hure, ich weiß, was du getan hast!“
    Sie tauschte einen kurzen Blick mit Hermann. Unmöglich, dass er sie vorhin in der Hütte beobachtet hatte. Oder?
    „Was meinst du damit?“
    „Gott wird dich strafen.“
    Eine Gänsehaut erfasste plötzlich ihren ganzen Körper. Eine Ahnung ihres Schicksals durchdrang sie. In einer Sekunde wusste sie alles. Sie sah jahrhundertelanges Leiden voraus, eine Ewigkeit ohne Schlaf und Erholung und Zerstreuung. Dann war der Wachtraum dahin, und wider der Erkenntnis dieses verlorenen Wissens fragte sie:
    „Strafen durch dich? Bist du also gekommen, um mich zu töten?“
    Der Ausdruck von Abscheu schwand aus seinem Gesicht.
    „Nein.“
    Sie sah ihm an, dass der Zustand seiner Leiche ihm bald alles geraubt haben würde, was er gewesen war, und fragte ob der Eile mit Nachdruck:
    „Warum dann? Wieso bist du hier bei mir?“
    Noch ein letztes Mal schoss ein lebendiger Ausdruck durch sein Gesicht, bevor ihm alles wegstarb, was menschlich in ihm gewesen war. Zutiefst angewidert sah er aus als er antwortete:
    „Weil hier in diesem Dorf der Tod zu Hause ist. Und er folgt dir, du verfluchte Hexe, überallhin. Wohin du auch gehst.“
     
    Es war nur eine kleine Abordnung von Reitern, die kurz nach dem Morgengrauen Rüstzeug anlegte und die Pferde sattelte. Zwei Wachleute und der Stellvertreter des Unterkommandanten der Burg. Eigentlich schon zu viel Aufgebot für die einfache Aufgabe, ein störrisches Stück Weib auf die Burg zu zwingen. Der Unterkommandant hatte einen einzelnen Reiter entsenden wollen. Der Befehl zur Aufstockung war vom Kommandanten gekommen auf direkte Weisung des Burgvogtes. Franz von Neuminingen sah Gefahr im Verzuge.
    Eine Stunde vor dem geplanten Ausritt des kleinen Trupps hatte gemäß der Wahnsinnsidee des Fürstbischofs der Holzeinschlag im künftigen Stadtwald begonnen. Ein solcher Einsatz würde nicht unbeobachtet bleiben und, mochte er auch noch so rechtens sein, auf jeden Fall für Groll bei den Stadtherren sorgen. Zwar rechnete der Burgvogt nicht mit einem sofortigen Angriff, aber ein verirrter Pfeil aus dem Nirgendwo, der einen Reiter außerhalb der Burgmauern ins Herz traf, wäre eine Warnung, die der Bürgermeister leicht leugnen, aber durch den Grad seiner gespielten Empörung um so schärfer wirken lassen konnte.
    Der Burgvogt wollte solchen Mätzchen keinen Vorschub leisten. Er konnte ob der bereits seit Monaten andauernden Unterbesetzung der Burg nicht einen Mann verlieren. Sechs Augen sahen mehr als zwei.
    Auch doppelt so viele Augen aber hätten den Trupp nicht retten können vor der wahren Gefahr, die im Wald lauerte.
     
    Maria handelte wider ihrer Liebe und wider ihres Glaubens an einen ganz allein von Fürsorge getriebenen Geist des Mannes, der sie dazu gebracht hatte, mehrere hundert Menschen in Stadt, Burg und den Dörfern ringsum zu heilen und, wie sich jetzt zeigte, zu vergiften. Sie handelte wider all ihrer noch immer unangezweifelten Gefühle, als sie Hermann nachschlich, kaum hatte der seinen bisherigen Mitbruder und sie selbst einfach stehen lassen und sich der Frühmesse wegen davongemacht.
    Sie wollte Gewissheit. Bis zur Stunde leugnete ihr Geliebter, seinen Tränken und Pulvern etwas anderes zugesetzt zu haben als heimatliche Kräuter und die Kraft seiner Gebete. Sie wusste, das konnte nicht sein. Kein Kraut der Welt setzte die Sterblichkeit außer Kraft. Und an Gebete glaubte sie überhaupt nicht.
    Schon immer hatte sie sich gewundert über die geringe Menge an Substanzen, Apparaturen und vor allem Platz in Hermanns Arbeitsraum am Klostergarten. Das Gewölbe war durch einen schmucklosen Doppelbogen zweigeteilt und wurde bestimmt von zwei schweren Eichentischen.
    Deutlich sichtbar schon von draußen war der Beratungstisch im Halbraum an der Eingangstür, an dem er Mitbrüder und Besucher empfing und sich mit Heilkundigen aus anderen Landesteilen beriet. Hier stapelte sich beschriebenes und unbeschriebenes Pergament. Ein Tintenfass mit Federkiel thronte auf einem weitläufigen blauschwarzen Fleck im Holz, und für etwas Gastlichkeit sorgte eine stets gefüllte Weinkaraffe mit zwei Holzbechern, denn er empfing nie mehr als einen Besucher zugleich.
    Der Tisch des Nebengewölbes verriet seinen Zweck genauso leicht. Hier standen sauber geordnet bauchige Gefäße voller geheimnisvoll in allen Farben schimmernder Tinkturen, mit Pulvern gefüllte Döschen, von Experimentierspritzern verfärbtes Pergament und eine Kerze in der

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