Toten-Welt (German Edition)
Kommandanten im Mittelpunkt des Aufruhrs.
„Bernkaller. Was macht der da?“
„Er ist herangetorkelt wie besoffen. Dann ist er auf eines der Marktweiber losgegangen.“
„Wieso nur?“
„Lasst ab von ihr! Wache!“, brüllte der Bürgermeister. Hätte das Fenster sich öffnen lassen, hätte er hinaus rufen und vielleicht kraft seiner Autorität den Rumor unterbinden können. So aber verhallte seine Stimme ungehört. Hinunter zu rennen kam ihm nicht in den Sinn. Es geziemte sich nicht, und Gefahr war seine Sache nie gewesen.
„Da kommen sie schon“, kommentierte Hebeheck, als zwei Hellebardisten heranstürmten und Gaffer beiseite zu zerren begannen.
„Oh du heiliger Gott! Er hat sie gebissen!“
Nun sah auch der Kaufmann das Blut. Durch die bunten Glasteile war es nicht als rot zu erkennen, aber es strömte so heftig, dass es auch grün hätte leuchten und seine Natur dabei nicht verbergen können.
Mann für Mann und Frau für Frau rissen die beiden Stadtwachen das Marktvolk beiseite und verschafften sich Zutritt zum Ort des Verbrechens. Die Marketenderin war zur Seite gekippt. Bernkaller kaute an einem Fleischbrocken und war schon drauf und dran, sich wieder auf sie zu stürzen. Die Wächter erreichten ihn gleichzeitig und stachen wie auf Kommando ihm in den Leib.
„Die sollen ihn lebend...!“, schrie der Bürgermeister im Moment des Zustechens.
„Zu spät.“
„Zum Erker!“
Der freie Blick auf den Platz vom Verkündigungserker aus fiel ihnen erst jetzt ein. Die beiden Beobachter lösten sich vom Geschehen, um unmittelbarer heranzukommen. Sich direkt hinunterzubegeben fiel ihnen auch jetzt nicht ein.
„Das bedeutet Krieg“, murmelte der Bürgermeister fassungslos und machte einen Schritt zur Seite. Da wagte es der Kaufmann, ihn am Ärmel zu packen und zum Fenster zurückzuzerren.
„Seht nur, Herr. Bei allen Heiligen: Er steht wieder auf!“
Maria traute ihren Augen nicht, als sie ins Dorf zurückkam. Beim ersten Näherkommen sah sie sich für einen Augenblick um zehn und mehr Jahre zurückversetzt, als die Häuser noch alle bewohnt und fleißige Menschen allerorten zugange waren.
Die Illusion verging ihr, als das Blut und die starr ins Nichts glotzenden Fratzen aus der Unschärfe der Ferne hervortraten. Die vermeintliche Geschäftigkeit war zielloses Herumtaumeln und stach so besonders ins Auge, weil die Zahl der Wiedergänger sich vervielfacht hatte. Den Köhler, die alte Frau, den Mönch und die verstümmelten Wachen sah Maria erst mal gar nicht im Gemenge der neu Hinzugekommenen.
Sie erkannte einen Bettler, den sie vor kurzem aus Mildtätigkeit geheilt hatte, und den Bankier Mortieau, der vor vier Jahren aus Frankreich in die Stadt gezogen war und sein Glück in ganz kurzer Zeit gemacht hatte. Sein Anblick erschreckte sie am meisten, denn der war vor zwei Wochen schon gestorben, die Stadt hatte öffentlich um ihren großen Gönner getrauert, und wie nach zwei Wochen unter der Erde sah er auch aus.
In der Dorfmitte, im Meer der Gesichter nur wegen seiner Größe auszumachen, stand der Köhler und glotzte vor sich hin. Die einen wandelten ziellos umher, die anderen verharrten nur. Maria grauste es bei dem Gedanken, dass viele wohl gar nicht zu sehen waren, weil sie in den Hütten und Ruinen herumstanden.
Auf dem Weg zu ihrem Haus fielen ihr zwei neue Blutopfer auf, fahrende Händler vermutlich, die am Dorf vorbeigekommen und angefallen worden sein mussten vielleicht vor Stunden. Die riesigen Fleischwunden und die toten Augen starrten sie an, als sie zwischen den verwesenden Leibern hindurchging. Sie wurde bewittert und offenbar erkannt, aber nicht angegriffen.
Was nur hatte es damit auf sich, dass sie sich hier versammelten? Und warum besetzten sie alle Häuser und Gärten und Ruinenplätze außer ihrem eigenen Grundstück?
Maria fragte sich, als sie den Fuß in ihren Garten setzte, warum sie überhaupt hierher zurückgekommen war. Denen Arsenik zu geben, hatte sie längst verworfen, und auch der Gedanke, sich das Richtschwert zu borgen, war nichts als Unfug. Es war inzwischen eine kleine Armee vonnöten, unter diesem Volk der Untoten aufzuräumen. Und noch wusste sie gar nicht, was es brachte, ihnen die Köpfe abzuhauen. Morgen würde sie es wissen, wenn der Kindsmörder mit Hermanns Mixtur im Bauch seinen Hals dem Nachrichter darböte.
„Du da!“, sprach sie einen Bauern an, der an ihrer Gartenpforte stand und sie anstarrte, während alle anderen inzwischen das Interesse
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