Toten-Welt (German Edition)
Vielleicht...“
„Was?“
„Ach nichts. Ich weiß es nicht.“
„Du weißt es doch. Und du weißt auch, wie man es rückgängig macht.“
„Ich schätze...“
Sein Blick zeigte auf den durchtrennten Hals.
„...so wie hier.“
„Indem wir sie köpfen.“
Sie sagte es wie eine Feststellung, die sie schon getroffen hatte. Und so war es ja auch, als sie den Plan verfolgt hatte, sich das Richtschwert des Meisters zu borgen. Sie hatte den Plan gleich wieder aufgegeben, denn wie sollte sie Dutzende und wer weiß wie viel noch mehr von denen köpfen? Wer sollte ihnen nah genug kommen, da sie ansonsten unverwundbar waren und um sich bissen wie fleischtolle Wölfe?
„Wie mir scheint, bekümmert dich das überhaupt nicht.“
Hermann drehte den Kopf, als wolle er verneinen, drehte ihn wieder zurück und sagte nüchtern:
„Das hier ist größer als wir. Als alle Menschen. Auch größer als Gott. Denn Gebete wirken nicht. Das hier schon.“
Sie sah den Glanz in seinen Augen und gab es auf.
„Also hattest du nie vor, mit mir wegzugehen“, stellte sie ernüchtert fest.
„Doch. Ich würde gern. Aber kann ich das hier zurücklassen?“
„Du kannst. Jederzeit. Du willst bloß nicht.“
„Ich dachte mir, wenn ich alles durch bin und alle Wirkungen kenne, das perfekte Heilmittel habe, und dann einen Mitbruder einführe, meinen Nachfolger, dass er hier weitermache...“
„Aber das ist eine Sache von Jahren! Und die Ergebnisse können alles stören und zunichte machen. Selbst wenn dir sonst keiner dahinterkommt...“
„Das Angstblut des Kindsmörders noch. Einen wie ihn hatte ich noch nicht, einen gewissenlosen Schänder, der doch so ängstlich und weichlich ist, wenn es um ihn selbst geht. Und wenn es nicht so wirkt wie erhofft...“
„Ich glaube dir nicht. Aber ich helfe dir. Ein letztes Mal. Wenn du dann nicht mit mir kommst, gehe ich allein.“
Hermann fasste sichtlich neue Kraft und begann zu lächeln. Das Unheimliche war, dass auch das Ding auf den beiden Tischen etwas abstrahlte, das als Reaktion auf ihre Worte ankam.
„So sei es“, verkündete Hermann kraftvoll. „Aber bringe dich nicht selbst in Gefahr, hörst du. Wirklich, Maria. Das wäre es nicht wert.“
Sie sah ihm an und las dem Ding ab, dass er es ernst meinte, und meinte es nun selbst auch ernst. Auch sie lächelte. Zuvor hatte sie vorgehabt, es zu tun, aber nur, um sich selbst zu beweisen, dass er nichts taugte und nie ganz zu ihr stehen würde. Nun glaubte sie wieder daran.
Noch in der Nacht begab sie sich zur Stadt und saß auf der Türschwelle des Meisters, als der sich für den zweiten Tag des Spektakels auf dem Richtplatz bereit machte.
Sie hatte nie eine Nacht in der Stadt verbracht und war dort wach geworden. Jetzt, da sie mitbekam, wie es sich hier anfühlte und anhörte, den Morgen zu empfangen, wusste sie, warum sie im Wald lebte und nie woanders als in der Natur würde leben wollen, auch nicht, wenn sie je mit Hermann wegginge.
Der Gestank, der sich am Boden entlang drückte, war einfach bestialisch. Hier waren es die Kadaver des Nachrichters, drüben, auf der anderen Seite der Mauer, die Fäkalien und verwesenden Teile, die von den Städtern einfach in die Gassen gekippt wurden. Auf dem Dorf hatte es das zu keiner Zeit gegeben. Aller Abfall wurde vergraben oder weit in den Wald getragen. Maria machte das immer noch so. Wie konnte man es aushalten, mitten in seinem eigenen Dreck zu leben?
Dazu war es nie ruhig, und schon jetzt, am Rande des Sonnenaufgangs, entwickelte sich eine Geschäftigkeit, die sich selbst in Frage stellte. Wozu das alles? Was musste man die armen Hunde auf dem Richtplatz erst derart schinden, bevor man ihnen den Garaus machte? Das Stöhnen und Schreien von dort schien sich mit dem Wagenklappern, Pferdewiehern und Gerede und Geschrei aus der Stadt gegenseitig hochzuschaukeln. Das angereiste Landvolk, das auf den Äckern ringsum am nackten Boden übernachtet hatte und sich anschickte, johlend den Richtplatz zu bevölkern, brachte nun den Nachrichter auf Trab. Zwar wurden die Verurteilten bewacht, aber die Autorität der schwarzen Kapuze wurde höher geschätzt als Piken und Hellebarden, wenn es darum ging, das blutgeile Volk davon abzuhalten, sich selbst an den Mördern zu vergreifen.
Es mochte an der Müdigkeit wegen der durchwachten Nacht liegen und der Erschöpfung der vergangenen Tage, dass Maria, je lauter sie den Nachrichter hinter seiner Tür sich bereiten hörte, immer mehr den Mut
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