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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Pein ihm bringen und vielleicht wieder nichts bewirken.
    Was aber dann? Was würden sie mit ihm anstellen, wenn er sich als gänzlich unverletzlich erwiese? Ihn dem Feuer übergeben? Und wenn er dem ebenso trotzte? Auf einmal erschienen ihm die Stunden und Tage, die vor ihm lagen, als endlose Höllenmarter ohne Aussicht auf die Erlösung des Todes, auf die er gestern noch sehnsüchtig gehofft hatte.
    Was nur machte ihn so resistent gegen alles, was des Scharfrichters Kraft und Instrumente ihm antaten? Konnten Hexenmächte am Werk sein? Wenn nicht gar der Teufel persönlich auf ihm hockte und ihn strafte für seine Taten.
    Der Anblick der schwarzen Kapuze über den mächtigen nackten Schultern ließ seine siedenden Gedanken überkochen. Er hatte sich hineingesteigert in eine Angst, die nun größer war noch als gestern, bevor die Tortur begonnen hatte. Er riss und zerrte an seinen Fesseln, wimmerte und jammerte und flehte mit Worten und Blicken um Erbarmen.
    Der Nachrichter, der zunächst vom Podest aus die herbeiströmenden Massen hatte ins Visier nehmen und das Zeichen des Richters abwarten wollen, ließ sich herbeilocken vom Gezeter des Kindsmörders. Nicht Mitleid war es freilich, wie Carolus Melchenhain den Augen seines Peinigers entnahm, als der sich über ihn beugte, sondern Neugier und dann eine Art resignierendes Registrieren. Er sah die Hände des Geräderten sich zu Fäusten ballen und wieder öffnen, als seien sie völlig unbehandelt. Noch am Vorabend hatte er einen geschwollenen Trümmerhaufen hinterlassen nicht nur an Hand- und Fingerknochen, sondern vor allem an den Armen. Jetzt aber...
    Da bimmelte auch schon das Glöckchen des Richters. Die Menge, die murmelnd ausgeharrt hatte, nahm das als Signal, nun wieder in Beschimpfungen zu verfallen und den Übeltätern den qualvollsten Tod aller Zeiten zu wünschen. Schon griff der Meister zum Rad, hob das schwere Richtinstrument über den Arm des Kindsmörders.
    Der vergaß sich nun völlig vor Angst vor dem, was er bereits am Vortag gespürt und gehört hatte, vor allem gehört, das entsetzliche Brechen seiner eigenen Knochen, das Zerreißen von Muskeln und Sehnen. Erneut drohte ihm diese Hölle an Schmerzen und vielleicht immerfort, wenn es wieder heilen würde, oder noch schlimmer, wenn es um die Speichen herumheilen würde, wäre er erst aufs Rad geflochten.
    Da, in Carolus Melchenhains größter Not, passierte ein Wunder, das ihn mit Hoffnung erfüllte und in biblische Verzückung geraten ließ. Eine wunderschöne junge Frau mit langen Haaren, wie er sie in einer solchen Fülle nie gesehen hatte, trat zwischen das erhobene Rad, stellte eine irdene Schale unter seinen Hals und beugte sich über ihn.
    Ein Engel. Nun hatte Gott der Herr also eine seiner Dienerinnen entsandt, um ihn zu retten. Seine vor panischer Angst verzerrten Züge wollten sich entspannen, schon wollte er Dankesgebete sprechen und allen Sünden für immer abschwören - da zückte der Engel ein riesenhaftes, rostiges und krumm gebogenes Messer, setzte es ihm mit der Spitze an die Kehle und stieß zu.
     
    Maria war, kaum hatte der Nachrichter das Haus verlassen, zum Türspalt geeilt und hatte sich an dem Bild des nahen Friedhofs festgestarrt. Der Tote wühlte noch immer in der Erde, aber saß inzwischen aufgerichtet. Noch steckten seine Beine fest, aber so verbissen, wie er arbeitete, war es nur ein Frage kurzer Zeitdauer, bis er sich befreit hätte und die alte Frau angriff, denn ihr galt seine ganze Aufmerksamkeit: Blind grub er seine toten Knochen frei, während seine Blicke den lebenden Menschen festhielten und sich vor Gier verzehrten. Die Frau hatte sich derweil einem anderen Grab zugewandt, die Hände zum Gebet gefaltet und stand mit dem Rücken zu der tödlichen Gefahr.
    Maria wollte das nicht zulassen. Sie konnte und durfte es nicht. Das war ihre Mitschuld. Nicht ein einziges Opfer durfte es noch geben, nicht, wenn sie es verhindern konnte!
    Aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Der Nachrichter hatte mit ihrer Renitenz gerechnet und nicht nur das Schloss betätigt, sondern hörbar einen Balken von außen vor die Tür geklemmt.
    So eilte sie die alte Leiter nach oben unters Dach. Dort oben gab es keine Luke, aber sie wusste, das Dach war nur mit Stroh gedeckt. Mit der Hand war es nicht zu durchdringen, festgebacken wie es war durch die jahrelange Witterung, aber sie fand verstreut einige alte Abdeckermesser, die der Meister hier oben gelagert hatte, nahm das größte, das aussah

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