Toten-Welt (German Edition)
verlor. Dieses Überall und Ständig ringsum machte ihr zu schaffen. Sie sah und hörte von hier alles, da das Haus auf einer Kuppe halb über der Stadt, schräg über dem Gottesacker und noch über dem Richtplatz lag. Menschen über Menschen. Krawall und übelster Mief. Sie fühlte sich erdrückt. Sie bekam Angst. Und war schon halb auf der Flucht, als der Meister, die Kapuze schon über dem Kopf, die Tür aufzerrte und ihrer Gegenwart gewahr wurde.
Er reagierte sofort, packte sie am Arm, riss sie hoch und zog sie ins Haus.
Aber da hatte sie es bereits gesehen und war sofort von ihrer Angst abgelenkt.
„Bist du dem Wahnsinn verfallen, Weib, dich hier noch einmal blicken zu lassen“, schimpfte der Meister und zog sich, kaum im Haus und die Tür zugeworfen, die Kapuze vom Kopf. Seine spärlichen Haare waren bereits vom Schweiß verklebt zu dieser frühen Stunde. Maria sah es am Rande, beruhigte sich angesichts seiner mitfühlenden Gegenwart, aber wurde neu aufgeregt durch das, was sie draußen erspitzt hatte und nun durch den Türspalt weiterhin sah.
Der Gottesacker lag keine 100 Schritte entfernt. Es mochte der ruhigste Ort sein bis zum Horizont an diesem Morgen, nur eine alte Frau war unterwegs dorthin und näherte sich dem Eingang. Offenbar hatte sie noch nicht erkannt, was Maria sah.
„Was du gestern getan hast... – Maria!“
Er packte ihren Kopf, drehte ihn von der Tür weg und so, dass sie ihm ins Gesicht schauen musste.
„Das war gotteslästerlichster Frevel. In dieser Stadt droht dir der Tod.“
Nichts anderes hatte sie erwartet, und doch machten seine Worte sie nun wütend.
„Was ist so anders dabei, sich Haut und Fleisch zu holen? Angstblut hätte ich doch auch bekommen. Ich finde beides widerwärtig.“
„Du weißt genau, was anders ist. Bleib hier in meinem Haus, bis der Tag vorüber ist. In der Nacht werde ich dich zu deinem Dorf führen. Dort werden sie dich nicht holen, weil sie deinen Hexenzauber fürchten.“
„Ich bin keine Hexe.“
Sie sagte es und war überzeugt davon und doch entsetzt und mitschuldig und immerhin eine Hexenmeistergehilfin, denn nun sah sie, als ihr Blick wieder zum Türspalt ging, dass sie richtig gesehen hatte. Aus einem der Gräber ragte eine Hand, schob die Erde über sich beiseite und wühlte sich frei. Die alte Frau hatte nicht hingesehen oder sah nicht mehr gut, sie drehte dem Entsetzlichen, das aufs Jüngste Gericht deutete, den Rücken zu und befasste sich mit einem anderen Grab.
Maria wagte nicht, den Blick des Meisters dorthin zu lenken und sah schnell weg und zu ihm hin.
„Ich weiß nicht, was du bist. Ich glaube nicht an Hexen, aber das, was du mir gegeben hast...“
Sofort war sie abgelenkt von allem und alarmiert.
„Du hast ihm das Mittel verabreicht?“
„Ich hatt’s dir versprochen.“
„Ja, aber das Urteil wurde geändert. Alles hat sich geändert.“
„Als ich es ihm bei meinem letzten Besuch gab, lautete der Richtspruch noch auf Enthaupten. Dann aber kam der stellvertretende Burgkommandant in die Stadt und gebärdete sich wie ein Raubtier. Jetzt liegt Krieg in der Luft.“
„Aber wie können sie das Urteil des einen ändern, wenn doch ein anderer...“
„Ich bin nur der Nachrichter, Weib. Und in diesem Amte habe ich noch nie gesehen, was offenbar dein Mittel verursacht.“
„Was? Dass seine Wunden wieder heilen?
„Nicht nur die Wunden, auch die gebrochenen Knochen und ausgerissenen Muskeln.“
„Und was ist mit dem anderen?“
„Da ist es anders. Dem heilt nichts mehr, aber der spürt auch nichts. Der schreit wie aus Wut, nicht vor Schmerz. Egal, wie hart ich hin rannehme, dem macht das nichts. Man unterstellt mir, die Kerle mangelhaft für ihre Taten zu entgelten. Ich muss sehen, dass ich sie heute auf dem Rad so zurichte, dass man ihnen die Strafe ansieht und ihnen das Mucksen vergeht.“
„Von oben oder unten? Sag, wie wirst du sie richten?“
„Gar nicht. Keine Gnade, weder durch das Schwert noch einen Halsstoß. Sie sollen auf dem Rad verschmachten über möglichst viele Tage und dann dort verfaulen.“
„Aber das werden sie nicht.“
Sie sagte es leise und wandte den Blick ab. Nun waren es zwei Arme, die drüben auf dem Gottesacker aus dem Grab ragten. Der Nachrichter folgte kurz ihrem Blick, aber sah es nicht.
„Ich sag dir, Maria, dich werde ich schonen, weil ich weiß, wer hier in Wahrheit das Hexenwerk vollbringt. Zu ihm werde ich sie schicken, wenn diese Mörderkerle meinem Handwerk widerstehen
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