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Toten-Welt (German Edition)

Toten-Welt (German Edition)

Titel: Toten-Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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wie ein türkischer Krummsäbel, stieß die Klinge durchs Stroh und riss dann mit der dolchartigen Krümmung von außen nach innen.
    Im Nu hatte sie sich ein Loch bereitet, das groß genug war zum hinausschlüpfen. Auf dem Stroh entlang glitt sie auf die Kante des Daches zu und fiel, ehe sie sich’s versah, zwei Meter in die Tiefe samt Krummsäbel in der Hand.
    Auf dem Weg zum Friedhof versperrten ihr Bäume die Sicht. Als sie an der Umzäunung anlangte, war es bereits zu spät. Der Wiedergänger hatte die alte Frau auf ein Grab geworfen, war auf sie gestiegen und hatte ihr die Kehle durchgebissen. Das war hier und jetzt dann die Gelegenheit, die Wirkung einer Toten-Enthauptung zu erproben. Maria schlich an den schmatzenden Leichnam heran, hob den Krummsäbel, der ja eigentlich nur ein stumpf gewordenes Abdeckermesser war, und hieb mit aller Kraft, die sie hatte, auf das Genick des mörderischen Monsters.
    Sie hatte Glück und erwischte die Lücke zwischen zwei Wirbeln. Durch die schwärzlich verweste Haut drang die Klinge leicht ein, aber blieb in der Wirbellücke stecken. Der Wiedergänger ließ den Fleischbrocken, von dem er hatte abbeißen wollen, auf das Grab fallen und sah träge zu ihr hoch.
    Maria hob es bei seinem Anblick und bei dem Gestank, den er verbreitete. Die Gesichtshaut war so stark von den Schädelknochen gefallen, dass man nicht mehr erkennen konnte, wer das zu Lebzeiten gewesen war. Die blanken Zähne waren blutverschmiert. Die Augen waren stumpf und wie eingetrocknet, glotzten aus eingefallenen Höhlen, und Maria fragte sich, wie solche Augen überhaupt noch sehen konnten.
    Aber der Auferstandene sah und hörte sie, und er witterte sie gar mit dem Loch im Gesicht, das mal seine Nase gewesen war. Sichtlich verwirrt von ihrer Gegenwart verharrte er kniend auf der Leiche der alten Frau. Das frische Fleisch am Boden lockte ihn, er wollte es wieder aufheben; aber auch die neue Beute, die da neben ihm stand, erschien im attraktiv. Die Klinge in seinem Nacken nahm er überhaupt nicht wahr.
    Maria zerrte daran, um sie wieder frei zu bekommen, und das war es wohl, was ihn dazu brachte, aufzustehen und sich ihr als Opfer zuzuwenden. Gerade noch rechtzeitig, bevor der große schwere Untote vor ihr sich aufrichten und sie angreifen konnte, riss Maria das Messer aus seinem Genick und rettete sich zwei Schritte zurück.
    Ihn zu köpfen, schien ihr nun aussichtslos. Sie kam nicht an seinen langen, vorgestreckten Armen vorbei, und der Hals war ohnedem weit über ihr, kurz gewachsen wie sie war. Was es brachte, einem solchen Ding etwas in den Bauch zu stoßen, nämlich gar nichts, das hatte sie oft genug beobachtet. Sie ließ es, drehte sich um und rannte blindlings davon.
     
    Zwischen dem Haus des Nachrichters und dem Friedhof blieb sie auf halbem Weg stehen. Der Wiedergänger kam ein paar Meter hinter ihr angeschlurft. Eine echte Bedrohung war er nicht in seiner Langsamkeit, Maria lief ihm leicht davon, aber wohin sollte sie sich nun wenden?
    In die Stadt ließ man sie nicht. Auf dem Weg zu ihrem Dorf hatte sie den Richtplatz zu passieren. Die Gefahr, dass man sie bemerkte und erkannte, war gering, die Meute steigerte sich bereits in den ersten großen Blutrausch des Tages. Aber sie hatte Hermann etwas versprochen.
    Maria sah auf den Krummdolch in ihrer Hand. Sie sah über die Schulter zu dem stöhnenden Leichnam, der sich ihrer sicher wähnte. Schließlich blieb ihr Blick am Abzweig zur Reichsstraße hängen.
    Das war die Gegenrichtung zu Burg und Dorf. Das war ein Weg, den sie nie weit gegangen war. Sie brannte vor Neugier auf die fremde Welt, die sie dort erwartete. Was hielt sie auf? Was hielt sie hier, in dieser zur Vorhölle gewordenen Heimat überhaupt noch?
    Der Untote schlug seine Krallen in ihr Gewand, bevor sie die Antwort wusste. Aber er zögerte und witterte. Maria wurde klar, dass er war, wie die anderen. Keiner von denen hatte je versucht, sie zu beißen. Den aber hatte sie angegriffen und ihm die Klinge in den Nacken geschlagen. Damit hatte sie ihn angelockt und in eine Art Wut versetzt, nicht aber mit ihrer Witterung.
    Sie tauchte unter ihm weg, riss sich los und rannte weiter. Sie eilte zum Richtplatz, und vielleicht war das, was da gerade geschehen war, die einzige Antwort, die sie je bekommen würde: Was man tat, ohne nachzudenken, das war wohl richtig. Würde es je richtig sein, von hier wegzugehen, dann würde sie das tun – ebenfalls, ohne sich mit Gedanken daran zu plagen.
     
    Der

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