Totenbeschwörung
eines Raupenfahrzeugs im Leerlauf vor sich hin und entließ bläulich schimmernde Dieselschwaden in den grauen Morgen. Es begann zu schneien.
Sie schüttelte den Kopf. »Bist du sicher, dass er die Anlage verlassen hat? Bei diesem Wetter und so weit nördlich? Selbst ein Fallensteller oder einer der Holzfäller, die hier leben, hätte seine Schwierigkeiten, sich hier zu Fuß durchzuschlagen.«
»Die Suchtrupps durchkämmen jedes Stockwerk, den gesamten Komplex«, erwiderte Tzonov, »und die ersten Meldungen liegen bereits vor. Keine Spur von ihm, und ich glaube auch nicht, dass wir etwas finden werden. Nein, er muss hier draußen sein. Ich nehme an, dass er sich auf einem der Versorgungs-Lkws versteckt hat und auf diese Weise entkommen ist.«
Siggis Kehle war trocken. Ihr Herz pochte und ihr Atem ging schnell. Sie musste beides wieder unter Kontrolle bekommen. War es denn möglich, dass Nathan es tatsächlich geschafft hatte? Sie hoffte es. Doch falls dem so war, war es ihr Verdienst! Turkur hatte recht! Sie musste verrückt sein! Jetzt musste sie jeden ihrer Schritte genau überlegen und vor allem ihre Gedanken verborgen halten! »Auf einem Versorgungs-Lkw? Aber die Wachen durchsuchen doch alles!«
Tzonov schnaubte lediglich. Sein Atem gefror an der Luft zu weißen Wölkchen, während er neben den Fahrer kletterte und Siggi hinaufhalf. »Es waren drei Lkws«, erklärte er. »Zwei sind unterwegs nach Beresovo, einer nach Ukhta. Sie sind losgefahren, bevor seine Flucht entdeckt wurde. Und was das Durchsuchen angeht – glaubst du das wirklich? So lasch, wie die Sicherheitsvorkehrungen hier gehandhabt werden!? Sogar unsere eigenen Leute langweilen sich zu Tode. Aber damit ist es jetzt vorbei! Siggi, wenn wir dieses Wesen nicht wieder in unsere Hände bekommen, stecken wir in ernsthaften Schwierigkeiten.«
»Aber wieso denn? Und warum bezeichnest du ihn immer noch als ›Wesen‹? Nathan ist ebenso ein Mensch wie du und ich, ein menschlicher Geist in einem menschlichen ... Körper. Er überträgt keine Seuchen. Außerdem werden wir ihn finden, was denn sonst!? Er ist doch fremd hier, für ihn sind wir die fremdartigen Wesen. Wo kann er denn schon hin? Und wer sollte ihm Unterschlupf gewähren?« Doch noch während sie dies sagte, betete sie, dass sie Unrecht hatte – um ihrer selbst und um Nathans willen.
Tzonov warf ihr einen flüchtigen Blick zu, als der Motor aufheulte und das Kettenfahrzeug sich in einer Dieselwolke den Pass an der Westseite der Schlucht entlangschob. »Ihm bleiben nur zwei Möglichkeiten. Ist er ein Kundschafter, hat er jetzt genug gesehen, zumindest was Perchorsk angeht, und wird versuchen, in seine eigene Welt zurückzukehren. Wenn er als Telepath tatsächlich so gut ist, wie du glaubst, müsste ihm mittlerweile bekannt sein, dass es ein zweites Tor gibt, und er dürfte auch wissen, wo es liegt. Es ist anzunehmen, dass er auf dem Weg dorthin weitere Informationen für die Wamphyri sammelt, die ihn ausgesandt haben.« Er hielt inne, und nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Die Alternative ist: Sie haben ihn tatsächlich in die Verbannung geschickt beziehungsweise er ist geflohen. Dann wäre er so etwas wie ein ›illegaler Einwanderer‹, der nicht zurück kann. In diesem Fall müsste er hierbleiben und wäre gezwungen, sich zu verstecken. Er müsste sich der Gesellschaft anpassen, in der er sich befindet, ganz gleich welcher. Und darin liegt die Gefahr, Siggi! Du weißt genauso gut wie ich, dass es mit den Kontrollen heutzutage nicht mehr weit her ist. Jeder, der will, kann die Grenze überqueren.«
»Und warum lassen wir ihn nicht einfach gehen?« Nichts wünschte sie sich sehnlicher. »Warum lassen wir ihn nicht einfach ziehen und vergessen, dass er jemals da gewesen ist?«
Tzonovs Blick wurde misstrauisch. »Hast du völlig den Verstand verloren? Kann man dich so leicht um den Finger wickeln? Er ist aller Wahrscheinlichkeit nach der Sohn von Harry Keogh! Wenn wir ihn nicht finden, kriegen ihn die Briten. Und ganz gleich, welche Fähigkeiten in ihm schlummern, sie werden sie aus ihm herauskitzeln und für ihre Zwecke einsetzen! Ich meine, denk doch mal nach! Wir können es uns nicht leisten, unseren Gegnern einen neuen Necroscopen zu überlassen! Er bringt es fertig und führt eine britische Expedition nach Starside, noch ehe wir überhaupt aufbrechen. Ausgerechnet jetzt, wo unser Land kurz davor steht, unter unserer geistigen und politischen Führung, versehen mit den Schätzen,
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