Totenbeschwörung
seine Zwecke zu missbrauchen. Tzonovs Besucher ist ein Mensch, aber keinesfalls ein gewöhnlicher. Und damit ihr alle aufhören könnt, euch mit der Frage zu quälen: Nein, es handelt sich nicht um das Baby, das wir damals hier in unserer Zentrale in Pflege hatten und das sich später mit seiner Mutter nach Starside teleportierte und dort zum legendären Herrn des westlichen Gartens heranwuchs! Bei dem Besucher, der durch das Tor gekommen ist, handelt es sich zwar ebenfalls um einen Sohn Harry Keoghs, aber nicht um den Herrn des Gartens!
Nun, ich bin kein Telepath, aber Nathan – so heißt er – hat nicht weniger als dreimal telepathisch Kontakt zu mir aufgenommen. Dazu gehört schon ein sehr großes Talent, auch wenn der Empfänger für den Kontakt bereit ist, wie dies bei mir der Fall war. Als ESPer gehen wir zwar davon aus, dass es die unterschiedlichsten Talente gibt, und sind deshalb empfänglicher dafür als andere Menschen. Dennoch ist Nathans Talent außergewöhnlich. Er ist mindestens genauso gut, wahrscheinlich sogar besser als die besten Telepathen, die wir haben.
Worum es während unserer ersten beiden Gespräche ging, ist nicht weiter von Belang. Aber mit dem dritten ...« – Trask hielt inne und warf einen Blick auf Ian Goodly. Dieser hatte von all dem keine Ahnung und war nun ganz Ohr. – »... verhält es sich anders. Es geschah letzte Nacht beziehungsweise ganz früh heute Morgen. Nathans telepathische ›Stimme‹ erreichte mich im Schlaf, aber ich spürte, dass es sich um weit mehr handelte als nur um einen gewöhnlichen Traum. Sie hatten ihn eingesperrt, aber irgendwie war es ihm gelungen, sich zu befreien – fragt mich nicht, wie! Er befand sich auf der Flucht, und sein Ziel war jenes zweite Tor in Rumänien, sein einzig möglicher Rückweg nach Starside. Mehr will er gar nicht! Nathan versucht nur nach Hause zu gelangen, weil er dort irgendetwas erledigen muss – was, hat er mir nicht gesagt!
Er brauchte dringend Hilfe! Aber hatte ich denn überhaupt eine Möglichkeit, ihm zu helfen, ihm ein paar Hindernisse aus dem Weg zu räumen? Nun ja, vielleicht schon! Doch selbst wenn ...
Ich sagte ihm, dass er es niemals schaffen würde. Selbst wenn er die rumänische Grenze erreichen sollte, würden dort Tzonovs Leute auf ihn warten. Und Tzonov wäre erst der Anfang, denn danach ... Ohne unsere Hilfe hat Nathan nicht die geringste Chance, auch nur in die Nähe der Stelle zu gelangen, an der der Fluss wieder auftaucht. Ich habe ihm gesagt, dass wir den Ort bewachen lassen, und ihm sogar ein paar Dinge über die Höhle von Radujevac erzählt. Wenigstens haben wir da draußen die Kontrolle, sodass es zumindest den Hauch einer Chance geben könnte. Aber wie es im Moment aussieht ... Es steht doch außer Frage: Er kann den unterirdischen Fluss bis zum Tor weder durchschwimmen noch sonst wie dahin gelangen. Das ist völlig unmöglich. Harry Keogh war der Einzige, der es jemals geschafft hat, und Nathan verfügt nicht über die Kräfte seines Vaters – jedenfalls noch nicht.
Wie denn auch? Er ist bei den Travellern aufgewachsen, unter Zigeunern, ständig auf der Flucht vor den Wamphyri. So etwas wie unsere Naturwissenschaften hat sich bei den Travellern nie entwickelt und sie haben keine Ahnung vom Rechnen. Wir wissen jedoch, dass die Spezialität des Necroscopen ein mathematischer Trick war, den er nach Belieben heraufbeschwor – metaphysische Mathematik, Möbiusgleichungen, und das hat nichts, rein gar nichts mit Multiplikationstabellen oder Rechenschiebern zu tun. Nathan hat nie eine Schule besucht. Tief im Innern weiß er um die Gleichungen seines Vaters, gewiss, aber er kann nichts mit ihnen anfangen – es sei denn, ein paar Spezialisten greifen ihm unter die Arme. Ich habe ihm gesagt, dass wir ihm, was das angeht, vielleicht helfen können, und er zeigte sich interessiert.
Aber noch weit mehr interessiert ihn sein Vater, Harry Keogh, ein Mann, den er nie gekannt hat! Nathan ist noch sehr jung, aber sein ganzes Leben lang ist etwas Unheimliches mit ihm vorgegangen. Er konnte oder wollte zwar nicht darüber reden, aber ich kann mir gut vorstellen, worum es sich handelt. Er hat nicht die geringste Ahnung, woher das alles kommt, immer nur so ein Gefühl, er könnte gleich um die nächste Ecke auf irgendetwas Unglaubliches stoßen, wäre er nur in der Lage, alles richtig zusammenzuzählen.
Also habe ich ihm ein paar Dinge über Harry erzählt. Nicht viel, gerade genug, damit er versteht, wie
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