Totenbeschwörung
Träume verblassten, war der verhasste Zahlenwirbel noch immer da, ganz schwach nur, aber dennoch Wirklichkeit. Während er, umgeben von schlafenden Vampirsklavinnen, wach in seinem Bett lag und ihm der kalte Schweiß ausbrach und er jedes Mal zusammenzuckte, wenn irgendwo ein Fensterladen knarrte oder draußen der Wind heulte, dann wusste er, dass sein Erzrivale am Leben war. Mehr noch, er wusste, dass sein Gegner, mochte er im Moment auch noch so fern sein, eines Tages zurückkehren würde ...
In gewisser Weise fürchtete er diesen Tag, obwohl er nicht sagen konnte, warum; andererseits konnte er ihn jedoch kaum erwarten. Denn er würde erst frei von diesem Zahlenwirbel sein, wenn sein Gegner, wer oder was auch immer er sein mochte, tot war.
Dies war eine Ursache für Nestors Trübsinn. Doch wenn er ehrlich war, gab es noch einen weiteren Grund – ein inneres Drängen, eine Leere, die danach schrie, gefüllt zu werden. Canker war durchaus auf der richtigen Spur gewesen, als er sich erkundigt hatte, wie es mit den Frauen stand. Aber nach einer bestimmten Frau hatte er nicht gefragt, denn er hatte ja keine Ahnung! Niemand außer Nestor wusste davon, und noch nicht einmal er wollte es sich eingestehen, schließlich hatte sie ihn schon einmal zum Narren gehalten.
Und doch vermeinte er in seinen Träumen immer öfter ihren Ruf zu vernehmen und spürte die Verlockung, die von ihr ausging, selbst wenn er wach war. Manchmal, wenn er seinen Gedanken nachhing, fand er sich – wenn auch nur in der Erinnerung – hoch oben auf dem Dach der Wrathspitze wieder, seine Lippen auf die ihren gepresst, seine Hand an ihrer Brust.
Sollte das Trübsinn sein? Nun, es waren lediglich Traumbilder, die nicht weichen wollten und seinen Geist gefangen hielten, ein Widerstreit der Gefühle. Einerseits wollte er an seinem Gegner Rache nehmen, und zugleich wollte er Wratha die Auferstandene. Allein der Gedanke an sie ...
Die Sonne ging unter. Am Horizont leuchtete das Abendrot, und die letzten goldenen Strahlen wurden zu einem amethystfarbenen Glühen. Nacht senkte sich über das Land. Die Sternbilder standen am Himmel wie gefrorene Eissplitter und über den fernen Eislanden zuckte unablässig das Nordlicht. Nachdem es dunkel geworden war, warteten die Wamphyri noch eine Stunde. Dann brachen die Wamphyri zur Sonnseite auf, und zwar nicht allein Nestor Leichenscheu und Canker Canisohn, sondern alle.
Sie nahmen lediglich ihre dienstältesten Offiziere mit, überließen die Stätten der Obhut ihrer jüngeren Leutnants und Knechte und flogen zur selben Stunde jeweils in kleinen Gruppen von der Wrathhöhe aus los, um Jagd auf die Szgany zu machen. Die Zeiten, da sie unter Wrathas Kommando gemeinsam zugeschlagen hatten, waren seit Langem vorüber. Selbst die Zusammensetzung der einzelnen Trupps war unterschiedlich. Gorvis Haufen flog in südöstlicher Richtung und bestand aus Gorvi, drei Leutnants und zwei kleineren flugfähigen Kriegern. Die Gebrüder Todesblick brachen direkt nach Süden auf und nahmen nur ihre Stellvertreter mit. Sie hatten vor, sich ihre Beute in ungefähr dem Gebiet zu suchen, in dem Wran und Vasagi der Sauger ihren ungleichen Zweikampf ausgefochten hatten. Die Lady Wratha flog mit nur zweien ihrer Männer nach Westen. Dabei orientierte sie sich am Gleißen des Tors zu den Höllenlanden, von dem aus sie zu den Schwindel erregenden Höhen und Hochplateaus strebte, die ihr den besten Blick auf die Sonnseite boten, damit sie sich in aller Ruhe ihr Ziel aussuchen konnte.
Canker und Nestor schließlich hielten auf den Großen Pass zu, der etwas östlich der gleißenden Halbkugel lag, eine tief eingeschnittene Schlucht, die sich von Nord nach Süd durch das Grenzgebirge zog und dabei eine scharfe Kurve beschrieb.
Wenn sie Glück hatten und jenseits des Passes eine Handvoll Knechte rekrutierten, sollte es ihren Opfern leichtfallen, ihnen auf dieser Route zurück nach Hause zur letzten Felsenburg zu folgen.
Den Wind im Rücken, glitten Canker und Nestor dahin und besprachen sich miteinander.
Abgemacht! Wir teilen alles gerecht, knurrte Canker in Nestors Gedanken. Wir schlagen gemeinsam zu und teilen, was wir erbeuten, unter uns auf.
Aber natürlich, zeigte Nestor sich einverstanden, fügte jedoch hinzu: Und sollten Frauen darunter sein, bekommst du ebenfalls die Hälfte!
Die Hälfte? Na klar! Der Hunde-Lord lachte schmutzig, wurde aber sofort wieder ernst. Aber ja doch! Ich verstehe, und unsere Vereinbarung sagt mir mehr als
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