Totenbeschwörung
wirklich denke. Bitte, bedien dich. Nur zu, mir macht das nichts aus! Sieh nach, ob ich dir die Wahrheit sage!« Trasks hypnotisches Implantat war noch immer funktionsbereit, aber er verzichtete darauf, es einzusetzen. Er hatte es nicht mehr benutzt, seit er Perchorsk vor drei Tagen verlassen hatte.
Nathan sah Trask eine Sekunde lang in die Augen und war versucht, abermals seine Gedanken zu lesen – allerdings nur für einen Moment. Dann errötete er und wandte den Blick ab. Trask wusste, was dies zu bedeuten hatte: Nathan schämte sich. ESPer spionierten einander nicht aus, das war Nathan bekannt, und ihm war ebenfalls klar, dass Trask ihn nicht belogen hatte. Außerdem hatte die Frage, ob Trask ihn nun benutzen wollte oder nicht, ohnehin nichts mit seinem Problem zu tun.
Nathans Problem bestand nicht etwa darin, dass er Trask oder seinem Team von Gedankenspionen misstraute – das nicht; er hatte jeden Einzelnen von ihnen überprüft und wusste, dass sie sein Leben um jeden Preis schützen würden. Vielmehr ging ihm alles nicht schnell genug. Enttäuschung und Langeweile nagten an ihm. Der Reiz des Neuen war verflogen und schon nach den wenigen Tagen hatte er diese Welt, die ihm nur durch und durch entsetzlich erschien, gründlich satt. Alles, was er nun wollte, war zur Sonnseite zurückzukehren, und zwar möglichst sofort. Doch ausgerechnet dies gehe nicht, hatte Trask ihm gesagt.
Trask wusste, was Nathan quälte. Nathan hatte zwar keinen Ton darüber verlauten lassen, doch man sah es ihm an. Trask hätte ein Ratespiel mit ihm veranstalten können und Nathan bei der entsprechenden Frage nur anzusehen brauchen, um festzustellen, ob er richtig lag. Doch dies war nicht Trasks Art. Außerdem vermutete er ja ohnehin, was los war. »Du hast Heimweh«, sagte er, »und das lässt du an deinen Freunden aus.«
Das Wort war Nathan neu, doch er verstand auf Anhieb, was Trask meinte. »Ach?«, erwiderte er. »Hättest du etwa kein ... Heimweh? Stelle dir einmal vor, du befändest dich in einer fremden Welt, müsstest merkwürdige Kleidung tragen, merkwürdige Sachen essen und dich und dein Leben vollkommen fremden Menschen anvertrauen! Auch noch in einer Welt, die du stets für die Hölle gehalten hast! Und je mehr du darüber erfährst, desto stärker wächst in dir die Gewissheit, dass es sich tatsächlich um die Hölle handelt! Eine Welt, in der du nichts bist als das, was andere dir geben, von der du überhaupt keine Ahnung hast und alles glauben musst, was man dir erzählt, in der du nirgendwohin kannst, es sei denn, jemand begleitet dich. Diese eure Welt hält so viele Wunder bereit und so viele entsetzliche ... Schrecken! Ihr versteht ja selbst nicht einmal, warum es diese Schrecknisse gibt! Ich habe nur ein ganz kleines bisschen von eurer Welt gesehen und frage mich, wie es kommt, dass überhaupt noch jemand seine fünf Sinne beisammen hat. Heimweh? Oh ja, das habe ich! Ich habe eine Frau auf der Sonnseite ... Aber die Sonnseite ist eine ganze Welt weit von hier entfernt und ich habe nicht die geringste Ahnung, ob meine Frau den Angriff überlebt hat. Nach allem, was ich weiß, könnte sie bereits die Sklavin irgendeines Vampirlords auf der Sternseite sein!« Er verzichtete darauf, zu erwähnen, dass es sich bei besagtem Lord aller Wahrscheinlichkeit nach um seinen eigenen Bruder handelte.
»Wie kann man nur Heimweh nach einer Welt voller Vampire haben?« Für Trask war dies schwer zu verstehen. Oh, er konnte nachvollziehen, dass Nathan sich einsam fühlte. Aber der Rest ...? Warum begriff er nicht, dass er Asyl genoss, ein Flüchtling zwar, aber in Sicherheit? Stattdessen kam Nathan sich vor wie ein Ausgestoßener. Und trotz der Albtraumgestalten, die sich Wamphyri nannten und über die Sternseite herrschten, wollte er wieder nach Hause.
»Ich kann nicht umhin, deine Gedanken zu lesen«, sagte Nathan. »Nicht, wenn du so laut denkst. Ja, ich will nach Hause – trotz allem! Ob ich Heimweh habe? Ja, ich schätze schon, aber das ist es nicht allein! Ich weiß nicht recht, was es ist, aber irgendwie kommt es mir vor, als ob ich die Antwort hätte. Ich glaube, die Antwort auf all dies liegt in mir, der Schlüssel zur endgültigen Vernichtung der Wamphyri. Bin ich eine Waffe? Ja, wahrscheinlich schon, aber um einen Gegner zu vernichten, muss man mit seinen Waffen auch zu ihm gehen. Sich in einer fremden Welt vor ihm zu verbergen, nützt gar nichts.«
Für jemanden, der noch vor einer Woche kein einziges Wort
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