Totenbeschwörung
Nathan sterben, und die Toten werden dich auf ewig verfluchen! Wenn jemand weiß, was es heißt, einen geliebten Menschen zu verlieren, dann doch du! Wenn jemand eine Ahnung davon hat, was ein Verbrechen ist, dann ebenfalls du! Töte Tod Prentiss, wenn es denn sein muss, aber nicht diesen Mann! Denn Nathan Keogh ist der Necroscope, John! Er ist das Licht in der Dunkelheit, das jedem Einzelnen von uns leuchtet! Wo wären wir heute ohne seinen Vater? Und ohne ihn ... wer weiß?
IHR HABT ... TOD PRENTISS GEFUNDEN? In Scofields Stimme schwang Unsicherheit mit. DANN ZEIGT IHN MIR! LIEFERT IHN MIR AUS ...
Eine weitere Stimme erklang, außer sich vor Furcht und Entsetzen: Nein, NEIN! NEEIIIN!!! Es war der Schrei eines Wahnsinnigen, eines Tieres in höchster Not. Tod Prentiss!
Nathan, noch immer im Sturz begriffen, langsam zwar, doch das unvermeidliche Ende vor Augen, »sah« Tod Prentiss’ Gesicht, sah, wie es einst ausgesehen hatte, dann in verschiedenen Stadien der Verwesung und schließlich, wie es jetzt aussah. Zunächst erblickte er es von Bosheit entstellt, rot und aufgedunsen, die winzigen Augen zu eng beieinander, darunter eine Knollennase und schlaffe, fleischige Lippen über einem fliehenden Kinn. Es war das Antlitz einer gierigen, lüsternen Bestie. Nathan sah, wie der Mund sich öffnete und das lüsterne Grinsen einem Ausdruck höchsten Entsetzens wich, während das Fleisch von den Knochen schwand. Er sah, wie die Lippen und Wangen anschwollen, aufplatzten und schließlich in Fäulnis übergingen, wie der Blick glasig wurde und die rot geränderten Augen in Höhlen, gelb wie Schwefel, versanken, aus denen eine graue Flüssigkeit tropfte. Er sah, wie die Nase zusammenfiel, wie sich das fahle Fleisch von den Wangen schälte und nichts als eine gähnende Öffnung blieb. Zuletzt sah er, wie die Kiefer sich zu einem lautlosen Schrei öffneten, sah gefräßige Maden aus der purpurnen Fäulnis quellen, die nur den nackten Schädel übrig ließen!
All dies sah Nathan und John Scofield sah es ebenfalls!
DAS IST ... TOD PRENTISS! Er wusste es mit absoluter Sicherheit. ABER DAS KANN NUR HEISSEN, DASS DER HIER ... Mit einem Mal klang Scofield erschüttert, als ihm das volle Ausmaß seines Irrtums bewusst wurde. ... DASS DIESER HIER ... NATHAN KEOGH IST!
Nathan spürte wieder festen Boden unter den Füßen, doch noch immer war sein Sturz nicht zu Ende. Er brach auf den Fliesen zusammen, presste sich an sie und schluchzte in der Kühle des Leichenschauhauses vor Erschöpfung einfach drauflos. Schließlich bemerkte er, dass er in einer Lache blau leuchtenden Dunstes lag, und ihm war klar, es war noch nicht vorüber ...
EINUNDDREISSIGSTES KAPITEL
Trask und die anderen hämmerten erneut gegen die Tür, riefen nach Nathan und wollten wissen, ob alles in Ordnung sei.
Er nahm sie wahr – sie hörten sich seltsam entfernt an, als würden ihre Stimmen aus großer Ferne zu ihm dringen. Zugleich war ihm klar, dass er in dem unheimlichen blauen Leuchten, das ihn umgab, nicht allein war. Außer ihm waren noch zwei weitere Männer anwesend, die vor einer entscheidenden Auseinandersetzung standen. Gleich würden sie aufeinander losgehen!
Und ein Publikum war ebenfalls versammelt, die schweigsamsten Zuschauer, die man sich vorstellen konnte; denn sie waren allesamt tot, ebenso tot wie die beiden Phantome, deren Kampf sie beiwohnen wollten.
Die ehemaligen »Insassen« des Leichenschauhauses saßen, die Gestalten zweier Männer – John Scofield und Tod Prentiss – umringend, auf ihren metallenen Särgen. Nathan wusste auf Anhieb, wer wer war, denn er kannte Prentiss’ Aussehen. Die tierhaften Züge waren unverkennbar, ebenso der gedrungene, froschartig wirkende Körperbau. Geduckt stand Prentiss da, bereit sich zu verteidigen, vielleicht zog er aber auch nur aus Furcht den Kopf ein. Graberde hing ihm in Klumpen von seinem haarigen Körper.
John Scofield dagegen war mittelgroß, eher drahtig als muskulös und wohlproportioniert. Beide Männer waren nackt und der Gegensatz hätte krasser nicht sein können: Licht gegen Dunkelheit, Gut gegen Böse. Ob die beiden tatsächlich so ausgesehen hatten oder ob dies lediglich John Scofields Vorstellung von sich und seinem Todfeind entsprach, vermochte Nathan nicht zu sagen. Doch er wusste, auf wessen Seite er war. Dieses Wissen wurde zur Gewissheit, als Tod Prentiss mit einem Mal zu ihm herumfuhr und knurrte:
Du Drecksack! Verräterisches Schwein! Dieser dämliche Bastard dachte, er
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