Totenbeschwörung
geistesabwesend: »Wie war es denn damals?«
»Ich war nicht dabei.« Trask hob, möglicherweise bedauernd, die Schultern. »Ich lag zu der Zeit im Krankenhaus und bekam nicht viel davon mit. Das Dezernat war damals hinter einem Monster her, einem gewissen Yulian Bodescu, der zum Wamphyri geworden war. Die Kreatur lebte in Devon und ich war in ihrem Haus verletzt worden. Seitdem habe ich mir oft gewünscht, ich wäre dabei gewesen ... Aber vielleicht habe ich andererseits auch Glück gehabt. Ein sehr guter Freund von mir war vor Ort, ein ESPer namens Darcy Clarke – ein außergewöhnlicher Mann. Er hat mir alles erzählt. Außerdem habe ich natürlich die Berichte gelesen ...« Er schwieg einen Moment, ehe er fortfuhr:
»Es war Nacht. Harrys Frau und sein kleiner Sohn waren in der Wohnung, als Bodescu gewaltsam eindrang und einen Polizisten und zwei Sicherheitsleute tötete, die sich ihm in den Weg stellten. Aber das Baby war ein Necroscope, Harry Keoghs Sohn, und die zahllosen Toten liebten ihn. Er beschwor sie herauf, um sich und seine Mutter zu schützen.
Niemand sah sie mitten in der Nacht aus ihren Gräbern steigen und den Friedhof verlassen – bis auf Darcy. Er hatte gerade mitansehen müssen, wie Bodescu einen Kollegen tötete, und sich in einem Zimmer im zweiten Stock eingeschlossen. Darcy versuchte durchs Fenster zu entkommen und blickte hinab zum Friedhof. Er hat mir erzählt, was er da sah – und das werde ich niemals vergessen!
Zunächst konnte er es kaum glauben. Auf der Straße vor dem Haus versammelte sich eine Menschenmenge, aber es waren keine normalen Menschen. Schweigend strömten sie durch die Friedhofstore – Männer, Frauen und Kinder –, zwängten sich unbeholfen hindurch, kletterten über die Umfassungsmauer, ließen sich einfach hinabplumpsen und schlurften, manche von ihnen krochen über die Straße. Es wurden immer mehr, aber nicht ein Laut war zu hören.
Der Nachtwind trug den Geruch nach Grab und Verwesung zu Darcy, den durchdringenden Gestank verfaulenden Fleisches. Einige, die erst kürzlich gestorben waren, trugen noch die Kleider, in denen man sie beerdigt hatte, andere dagegen ... waren schon seit Langem verwest. Sie pochten an die Tür und begehrten Einlass.
Darcy machte sich bald in die Hosen vor Angst. Er traute seinen Augen nicht und dachte, er würde gleich überschnappen. Aber er wusste um Harrys Talent und ihm war bekannt, dass Harrys Sohn ebenfalls ein Necroscope war. Damit blieb ihm nichts anderes übrig, als das Ganze zu akzeptieren. Also machte er Anstalten, hinunterzugehen und ihnen zu öffnen. Das muss man sich einmal vorstellen! Darcy hatte allen Ernstes vor, einer Horde wandelnder Leichen die Tür aufzumachen! Aber so weit kam es nicht. Das Geschehen ging über seine Kräfte und er klappte zusammen. Was dann passierte, erfuhren wir später von Harry.
Harry junior hatte seine Mutter bereits über das Möbius-Kontinuum in unsere Zentrale gebracht und die Toten stellten Bodescu in der Mansarde. Er war zwar Wamphyri, aber das half ihm jetzt auch nichts mehr. Er hatte keine Chance gegen sie. Was hatten sie schon zu verlieren? Bodescu griff zu seinem letzten Mittel. Er verwandelte sich, bildete Schwingen aus und sprang durch das geschlossene Fenster. Einer der Toten war jedoch ein geübter Schütze und pflanzte ihm einen Armbrustbolzen ins Rückgrat. Schwer verletzt stürzte Bodescu zur Erde. Sie fanden ihn schließlich auf dem Friedhof, rammten ihm einen Pfahl durchs Herz, schnitten ihm den Kopf ab und verbrannten ihn. So war es ...«
Nathan blickte ihn an. »Schön und gut«, sagte er und nickte. »Aber vielleicht wissen die Toten auf dem Friedhof doch noch ein bisschen mehr darüber. Ich glaube, ich sollte mich mit ihnen unterhalten. Es gibt so vieles, was ich über meinen Vater erfahren möchte, und sie sind die Einzigen, die wirklich Bescheid wissen.«
»Sollen wir mitkommen?«, fragte Zek, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
»Ich glaube, das mache ich besser allein«, erwiderte Nathan. »Dann kann ich mich besser konzentrieren. Außerdem habe ich so ein Gefühl, dass die Toten nicht ganz einverstanden wären, wenn jemand anders uns gewissermaßen ... zuhört.«
»Deine Aufpasser werden da sein«, rief Trask ihm ins Gedächtnis.
»Solange sie sich im Hintergrund halten, ist das vollkommen in Ordnung. Weißt du, die Nacht ist ihre Zeit!«
»Die Zeit der Toten?«
»Ja. Wenn in der Welt Ruhe einkehrt, dann kommen ihre Talente voll zur Geltung. Das
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