Totenbeschwörung
seine wahre Geliebte ist die Mondgöttin, die silbern am Firmament steht. Oh, du wirst ihn schon noch früh genug heulen hören, wenn er seine Herrin da oben anhimmelt! Trotzdem überrascht es mich, dass er nicht hier ist, um mich willkommen zu heißen.«
»Ah, er hat andere Dinge im Kopf«, warf Spiro über den tosenden Abgrund hinweg ein. »Canker baut sich einen Apparat aus Knochen!«
»Er baut einen ... was?« Wran schüttelte den Kopf und lachte vor Verwunderung.
»Einen Apparat mit großen und kleinen Pfeifen, die er aus den hohlen Knochen der Kampfkreaturen herstellt, deren Gebeine in der Geröllebene bleichen. Er und seine Leutnants haben die ganze Nacht damit zugebracht, hin- und herzufliegen, um die Knochen in seine Behausung zu schaffen.«
»Aber warum denn? Wozu soll das gut sein? Einen Apparat, sagst du? Was für ein Apparat soll das sein?«
Spiro zuckte die Achseln. »Er will damit Musik machen, sagt er.«
»Musik machen?« Wran blieb der Mund offen stehen. »So wie die Szgany-Truppe, die Devetaki Schädellarve sich in Maskenstatt hielt? Aye, das waren Musikanten – aber Canker? Mit einem Instrument aus hohlen Knochen?«
»Es soll ihn dabei unterstützen, seine Hingabe auszudrücken«, versuchte Spiro zu erklären. »Er schwört Stein und Bein, dass die Mondgöttin taub sei und ihn nicht hören könne, denn sonst würde sie zu ihm herabsteigen und seine Geliebte werden. Deshalb ist er fest entschlossen, mit Hilfe des Gerätes, das er aus diesen Knochen bastelt, umso lauter zu singen. Wie das gehen soll? Das musst du ihn schon selber fragen! Hah! Das muss man sich mal vorstellen – und uns bezeichnen sie als Irre! Dabei wüten wir nur im Kampf, wir haben nicht den Verstand verloren!«
»Die Saugspitze!«, rief Wran und vergaß augenblicklich Cankers Treiben. »Das waren Vasagis Stockwerke. Jetzt gehören sie dir, Nestor. Zumindest bald, wollen wir hoffen. Darüber gibt es nicht viel zu berichten, denn in der Saugstatt gibt es kaum etwas zu tun. Die schwierigen Aufgaben werden allesamt weiter unten erledigt. Aber Vasagi war der Fachmann in der Kunst der Verwandlung. Meine Herren, er machte vielleicht Ungeheuer! Seine Bottiche werden nun dir gehören, einschließlich der Bestien, die darin entstehen. Aber du wirst ohne Zweifel eigene Kreaturen erschaffen ... mit der Zeit und wenn man dir ein bisschen hilft! Eine Hand wäscht die andere, was, Spiro?« Er zwinkerte seinem Bruder zu und schwebte nun im Gleitflug zur Seite. »Wir alle können von Zeit zu Zeit etwas Hilfe gebrauchen. Doch wie dem auch sei, genug davon! Bald kannst du nach Herzenslust durch die Saugspitze streifen.«
Er hob den Kopf, blickte nach oben und grinste wie ein Maikäfer. »Und jetzt auf zu meinem Empfang!«
Von hier oben sahen die Trümmerhaufen und zerschmetterten Stümpfe der eingestürzten Felstürme einen dreiviertel Kilometer unter ihnen aus, als seien auf einer kiesbestreuten Fläche ein paar Steinchen durcheinander geraten. Im Südwesten schimmerten, majestätisch anzusehen, golden die Gipfel des Grenzgebirges, während zur Mitte und nach Osten hin das Grau allmählich in Gelb überging. Es würde noch über dreißig Stunden, vielleicht länger dauern, bis die Sonne durch die mittleren Bergspitzen brechen und die Wrathhöhe in ihren Schein tauchen würde, und auch dann nur diese zuoberst gelegenen Stockwerke. Dennoch hätten die Wamphyri sich zu jeder anderen Zeit auf ihren langen Schlaf vorbereitet, denn allein schon der Gedanke an die Sonne war ihnen unerträglich. Doch nun ... war ein siegreicher Kämpfer von der Sonnseite zurückgekehrt und erwartete, dass man ihm einen Empfang bereitete. Das stand ihm schließlich zu.
»Die Wrathspitze!«, rief Wran. »Sie trägt ihren Namen zu Recht. Denn es handelt sich in der Tat um die Spitze des Felsenturms, und die Lady, die hier wohnt, heißt Wratha. Ihre Gemächer sind die höchsten und, ich möchte sagen, fürstlichsten von allen. Welch besseren Ort gibt es also, die widerwilligen Huldigungen meiner Mit-Lords entgegenzunehmen! Sieh an, die Herrin persönlich erwartet uns ...«
Auf einer Windbö dahingleitend, umrundete Wrans Flugrochen einen zerklüfteten Strebepfeiler, den der Fels hier bildete, und hielt auf eine Landebucht von riesigen Ausmaßen zu. Die anderen folgten ihm dichtauf – erst Spiro, dann Gorvi, der sich vorgedrängt hatte, und als Letzter Nestor.
Folge den anderen. Bleib hinter ihnen. Langsam jetzt ... langsam. Er war eifrig damit beschäftigt,
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