Totenbeschwörung
doch klar, dass er im Hubschrauber nicht geschlafen hat.«
»Tzonov?« Trask trocknete sich das Gesicht ab. »Natürlich nicht! Er hat sich einfach in sich zurückgezogen. Turkur Tzonov verfügt über ein Talent, Ian, und er ist gewohnt, es auch einzusetzen. Aber bei uns darf er das nicht, jedenfalls nicht, solange er Wert darauf legt, dass wir mit ihm zusammenarbeiten. Darum hat er es in dem engen Hubschrauber vorgezogen, sich auszuklinken, uns links liegen zu lassen und den ganzen Flug über zu ›schlafen‹, damit er ja nicht in Versuchung gerät, uns in die Augen zu blicken – oder auch ein bisschen tiefer! Wie es aussieht, braucht er wirklich unsere Hilfe, und er will uns auf keinen Fall vor den Kopf stoßen. Na ja, und es wäre ja auch nicht das erste Mal. Der Chef der Gegenseite hat doch schon einmal mit unserer Führung zusammengearbeitet, damals bei der Bodescu-Affäre.«
»Aber das war vor Tzonovs Zeit«, meinte Goodly. »Und es endete in einer Katastrophe! Wenn diese beiden Dezernate zusammenarbeiten, kommt nichts Gutes dabei heraus.«
Trask zog sein Hemd an. »Siehst du das etwa in der Zukunft – eine Katastrophe?«
Goodly wirkte verhärmter und mürrischer denn je. »Ben, du weißt so gut wie jeder andere, dass mein Talent mir Angst macht. Den meisten Hellsehern geht es so. Die Zukunft hat etwas Unheimliches an sich. Was wir von ihr erwarten, tritt in der Regel zwar ein, aber nicht ganz so, wie wir es gerne hätten. Ich werfe nur selten einen Blick in die Zukunft, und wenn, dann auch nicht allzu weit voraus, weil ... Nun ja, es verhält sich so ähnlich wie mit Turkur Tzonovs Beweggründen: Es ist nichts, worauf man sich verlassen könnte! Nein, eine Katastrophe sehe ich nicht auf uns zukommen, bis jetzt jedenfalls nicht. Aber es wird auch kein Zuckerlecken.«
Trask musterte Gooodlys ernste Miene. »Können wir demnach sagen, du hast ... ein ungutes Gefühl?«
»Ungut, das trifft es«, nickte Goodly. »Sieh es doch mal so: Was ich über die Zukunft weiß, entspringt der Gegenwart und der Vergangenheit. Wenn ich in die Zukunft blicke, ziehe ich unbewusst Schlüsse, die darauf beruhen, dass ich mich daran ›erinnere‹, was kommen wird, ungefähr so wie du dich an deine Träume erinnerst. Alles ist nur verschwommen und man sieht keine Einzelheiten. Aber auch wenn man einen Traum für gewöhnlich schnell vergisst, kann er einem für den Rest des Tages gute Laune bescheren, sofern man von etwas Angenehmem geträumt hat. Aus demselben Grund geht einem ein Albtraum so an die Nieren und man reagiert empfindlich. Genauso geht es mir jetzt: Irgendetwas stört mich gewaltig, aber ich weiß einfach nicht, was! Behalte das doch mal im Hinterkopf, und dann konzentriere dich auf das, was wir über Tzonov wissen, sein psychologisches Profil.«
»Ich weiß etwas über sein physisches Profil«, sagte Trask nachdenklich. »Über diese Siggi Dam ist uns nichts bekannt! In seiner Akte steht nichts über sie, das heißt, sie muss eine relativ neue Eroberung sein.«
Goodly schüttelte den Kopf. »Ja, aber ich rede nicht von ihr. Ich denke eigentlich eher an Tzonovs geistige Disposition, seine Art, die Dinge anzugehen. Er ist eitel, ehrgeizig und ein schlechter Verlierer. Diese drei Eigenschaften ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie haben ihn zu dem gemacht, was er jetzt ist – zum Chef des russischen E-Dezernats. Und genau das bereitet mir Sorgen!«
Trask verstand nicht ganz, worauf Goodly hinauswollte. »Was meinst du damit?«
»Eitel!«, stieß Goodly hervor. »Er ist stolz auf sich und seine Fähigkeiten und hundertprozentig auch auf sein Land, selbst wenn es nichts als ein einziger Scherbenhaufen ist. Eitel und ehrgeizig! Er ist stolz auf das, was er erreicht hat, auf sein Talent und seine Arbeit, und die Sicherheit von Mütterchen Russland steht für ihn an oberster Stelle. Eitel, ehrgeizig und ein extrem schlechter Verlierer! Er kennt die Geschichte seiner Organisation in- und auswendig, angefangen bei Gregor Borowitz, Dragosani und Schloss Bronnitsy bis auf den heutigen Tag. Er weiß Bescheid über jeden Erfolg, aber vor allem ist er in der Lage, dir jede einzelne Niederlage aufzuzählen ... Außerdem weiß er, wer in neunzig von hundert Fällen schuld daran war!«
»Harry Keogh?«
Goodly schüttelte den Kopf, besann sich dann jedoch eines Besseren und nickte. »Falls nicht Harry, dann diejenigen, in deren Auftrag er gehandelt hat – nämlich wir, das
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