Totenblick: Thriller (German Edition)
Jemand schnitt die Fäden von ihm ab, an denen die Gewichte hingen. In ein paar Tagen würde es noch besser sein.
Zuerst wollte Rhode es sich nicht eingestehen, aber er war … unerwartet … erleichtert. Nun, da er um seinen Posten gekämpft und verloren hatte, traf ihn die Erkenntnis: Das nächste schreckliche Werk des Verrückten bliebe ihm erspart.
Er sah auf Anke Schwedts Schreibtisch.
Er würde ihren Mörder finden.
In kürzester Zeit.
Alles würde er durchgehen, von ihr, von Sterz. Er würde dessen Umfeld von unten nach oben kehren, jede Einzelheit, jedes Detail überprüfen, um einen Anhaltspunkt auf den Aufenthaltsort des Täters zu finden. Eine Berghütte, ein Wochenendhaus, irgendwas.
Aber zuerst …
Er sah auf die Uhr und hob den Telefonhörer ab. Rhode rief zu Hause an. »Sammle die Kinder ein«, sagte er gelöst zu seiner Frau. »Wir gehen auf den Weihnachtsmarkt.«
Er lauschte auf ihre freudige Reaktion, die ihn zutiefst rührte. Unvermittelt begriff er, welche Entbehrungen seine Familie auf sich genommen hatte. Über das übliche Maß seines Berufs hinaus. Ohne zu murren. »Jetzt?«
Er lächelte. »Ja. Jetzt. Dienstschluss.« Nach dem Auflegen jagte er den Namen eines Mannes, den ihm Ares geschickt hatte, durch die interne Abfrage. Dieses Mal hatte er seinen Freund nicht vergessen.
***
Leipzig, Gohlis-Süd, 6. Dezember
Ares saß im Bademantel auf der Couch und rief bei seinem Freund Pitt an, um ihn zu fragen, ob er schon vom Tod des Intendanten erfahren hatte. Das Kanalwasser war abgespült, er roch wieder sauber.
Aber im Büro nahm niemand ab, und auf dem Diensthandy sprang der Anrufbeantworter an.
Er wollte gerade auflegen, da hob Peter Rhode ab. »Hey, Ares. Tut mir leid, ich dachte, es sei irgendwas Dienstliches. Du, ich möchte mit den Kindern auf den Weihnachtsmarkt. Die warten auf mich.«
Er prüfte die Uhrzeit. Es war kurz nach 17 Uhr. »Machst du Dienstschluss, Pitt?«, sagte er fassungslos.
»Ja. Sie haben mir den Fall weggenommen und an eine LKA-Frau gegeben. Und meine Familie hat mich in den letzten Wochen so wenig gesehen, da kann ich den Riemen auch pünktlich runterwerfen«, erklärte er und hörte sich dabei kaum verärgert an. Eher resigniert-erleichtert. »Ich lasse den Namen gerade abfragen. Tut mir leid, dass ich dich so lange habe warten lassen.«
Ares hörte die Erleichterung. »Oh, danke. Aber ich wollte dir nur sagen, dass sie den Intendanten in seinem SL aus dem Wasser gezogen haben. Er saß angeschnallt auf dem Fahrersitz.« Er kam aus dem Staunen nicht mehr raus: Sein Kumpel hatte gelernt, dass man einen Stift hinlegen und nach Hause gehen konnte.
»Oh. Tja. Mal abwarten, ob das gut oder schlecht für die Oper wird.«
Der Kommentar passte zu seiner neuen Stimmung und Einstellung. Der Hauptkommissar fragte nicht mal nach Anzeichen auf ein Gewaltverbrechen.
Ares musste lachen. »Freut mich, dass dir das egal ist. Das entspannt, was?«
Rhode atmete aus, und es klang, als lächelte er dabei. »Ich suche Ankes Mörder. Ab morgen. Alles andere kann mich … nun ja. Kriminalrat werde ich nicht mehr, der Präsident hat getan, was man von ihm verlangte, und ich gehe mit meiner Familie auf den Markt. Aber danke, dass du mir Bescheid gesagt hast.«
Ares erhob sich und sah aus dem Fenster, den vorbeirollenden Autos hinterher. »Kein Thema. Gehen wir wieder joggen? Wo du den Dienstschluss wieder erkannt hast?«
»Gern. Und … sag mal: Wie wäre es, wenn du dir deinen Nachwuchs schnappst und mitkommst?«
»Auf den Weihnachtsmarkt? Welchen?«
»Den mittelalterlichen. Am Naschmarkt.«
Ares überlegte blitzschnell: gebrannte Mandeln, heißer Gewürzmet, der Geruch vom glühenden Eisen der Schauschmiede, Gaukler und Feuerspucker, Musik aus Sackpfeifen, dunkles Brot mit Schmand und Speckstreifen, das seinen Bart einsaute. Genau das Richtige nach einem Tauchgang in Eiswasser. Elisa fand es hinreißend, Karo offiziell retro und langweilig, inoffiziell mochte sie es auch. Ein ambivalenter Spaß.
»Ich sage mal ja«, hörte er sich zustimmen. »Ich suche meine kleinen Damen zusammen und düse los.«
»Freut mich, Ares«, gab Rhode zurück. »Bis nachher.«
Ares grüßte und telefonierte eine weitere Runde, um zu hören, was seine Ex-Frauen zu seinem Plan sagten. Elisa war sofort Feuer und Flamme, Karo ließ sich nur dazu überreden, weil sie hörte, dass es da auch Schmuck gab. Klar.
Er schlüpfte aus dem Bademantel und zog sich an. Elisa würde er abholen,
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