Totenblüte
Kinderzeichnung. Noch mehr glückliche Familien.
«Worum geht es denn? Haben Sie Lukes Mörder gefunden?»
Vera schenkte der Frage keine Beachtung. «Sie haben uns verschwiegen, dass Sie Lily Marsh kannten.»
«Sie haben mich nicht nach ihr gefragt.»
«Als ich bei Ihnen war, war sie ja auch noch am Leben, Herzchen. Aber Sie werden sicher verstehen, dass ich jetzt noch einmal nachfragen muss. Zwei Morde innerhalb einer Woche, und Sie kannten beide Opfer.»
«So gut kannte ich sie gar nicht. Ich habe in dem Moment einfach nur gedacht: Was für ein seltsamer Zufall. Ich wüsste nicht, was ich zu Ihren Ermittlungen beitragen sollte.»
Kath wirkte ehrlich verwirrt, und Vera überlegte, ob sie selbst wohl schon so viel Zeit ihres Lebens damit zugebrachthatte, Verbrechen aufzuklären, dass sie inzwischen auch dort Verbindungen und Motive sah, wo keine waren. Eine eigentümliche Form von Paranoia, die Zufälle von vornherein ausschloss.
«Woher kannten Sie sie denn?»
«Wir sind zusammen aufgewachsen. Ich bin natürlich deutlich älter als sie, aber wir wohnten im selben Dorf. Meine Mutter war gut mit Phyllis Marsh befreundet. Sie wissen ja sicher, wie das in solchen Dörfern ist. Sie waren zusammen zur Schule gegangen, trafen sich oft in der Kirche oder im Women’s Institute. Lily und ich waren beide Einzelkinder. Irgendwann habe ich dann angefangen, auf sie aufzupassen. In gewisser Weise waren wir ganz gut befreundet. Sie hat uns schrecklich gern besucht. Sie wissen ja, wie sehr kleine Kinder manchmal ältere bewundern. Vor allem Mädchen. Und vielleicht hatte ich auch immer schon eine mütterliche Ader. Als ich dann in die Stadt gezogen bin und angefangen habe, hier zu arbeiten, haben wir uns aus den Augen verloren.»
«Aber vor kurzem haben Sie sich wiedergesehen?»
«Ja.»
«Unter welchen Umständen?»
«Sie kam ambulant hierher ins Krankenhaus. Sie dachte, sie wäre schwanger. Anscheinend war ihre Periode ein paarmal ausgeblieben, der Schwangerschaftstest zu Hause war aber negativ. Sie wollte ganz sicher sein. Wir sind uns im Aufzug begegnet, als sie schon wieder auf dem Weg nach draußen war.»
«Geht man mit so etwas nicht eher zum Hausarzt?»
«Da hätte sie erst auf einen Termin warten müssen. Aber aus irgendeinem Grund wollte sie es sofort wissen.»
«Aber sie war nicht schwanger», sagte Vera. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Die Autopsie hatte eszweifelsfrei ergeben; Vera erinnerte sich noch genau daran, wie der Pathologe bedauert hatte, dass Lily niemals Mutter sein, nie ein Kind bekommen würde.
«Nein. Und ich habe ihr angemerkt, dass ihr das naheging. Meine Schicht war gerade zu Ende, da bin ich mit ihr einen Kaffee trinken gegangen. Eine mütterliche Ader, ich sag’s ja. Ich sollte lernen, mich aus so etwas rauszuhalten.»
«Dann wollte sie also ein Kind?»
«Unbedingt. Ich habe ihr alles gesagt, was man in solchen Fällen sagt. Dass sie noch jung ist, dass es irgendwann noch kommen würde. Und dass es sowieso besser ist, wenn sie erst einmal ihre Ausbildung abschließt. Aber es half alles nichts, das habe ich gemerkt.»
«Hat sie ihnen erzählt, wer der Vater gewesen wäre?»
«Nicht so genau. Sie sagte nur, er wäre schon älter. Sonst nichts.»
«Und das war das einzige Mal, dass Sie sich gesehen haben?»
«Nein. Ich machte mir ein bisschen Sorgen um sie. Ich wusste ja, dass sie im letzten Jahr in der Schule eine Art Nervenzusammenbruch hatte. Der ganze Prüfungsstress. Phyllis hat immer so viel von ihr erwartet. Oxford, eine glänzende Karriere. Sie war nicht richtig glücklich in ihrer Ehe und hat ihre ganze Hoffnung in Lily gesetzt. So einem Druck hält doch kein Mensch stand. Ich habe Lily gefragt, ob sie irgendwo in Therapie ist. Da ist sie aus der Haut gefahren, hat mir erklärt, sie sei schließlich nicht krank, mit ihr sei alles in Ordnung. Da habe ich ihr einfach meine Handynummer gegeben und ihr gesagt, sie soll anrufen, wenn sie reden will.»
«Und das hat sie dann auch getan.»
«Das kann man wohl sagen.» Kath atmete einmal tiefdurch. «Ehrlich gesagt wurde es mir schon bald ziemlich lästig. Wenn ich von der Arbeit kam, stand sie häufig draußen auf dem Parkplatz. Dabei will man nach so einer Nachtschicht eigentlich nur noch nach Hause, ein langes Bad nehmen und ein paar Stunden schlafen. Und ich hatte auch gar nicht das Gefühl, dass ich ihr irgendwie helfen kann. Sie hätte psychiatrische Betreuung gebraucht. Und eines Tages, an einem Samstag,
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