Totenblüte
Lily zu erzählen. Natürlich müssen Sie meine Angaben überprüfen. Aber bitte glauben Sie mir, ich verheimliche Ihnen nichts weiter.»
«Was werden Sie Ihrer Frau erzählen?» Holly lächelte sogar, als sie das sagte. Ein freches, fast schon komplizenhaftes Grinsen.
Was treiben Sie denn sonst noch so? Womit sind Sie bisher noch durchgekommen?
«Die Wahrheit. Das bin ich ihr schuldig. Sie kennt mich gut genug, um zu wissen, dass ich niemals einen Mord begehen würde.»
«Wir haben in Lilys Zimmer eine Karte gefunden», sagte Vera. «Eine handgemachte Karte mit gepressten Blumen. Haben Sie Lily so etwas geschickt?»
Er schwieg einen Moment. «Nein», sagte er dann. «Von solchen kitschigen Gesten halte ich wenig, Inspector.»
«Sind Sie sich da ganz sicher?»
«Natürlich bin ich sicher. So etwas vergisst man ja schließlich nicht.»
Wer hat sie ihr dann geschickt? Und wieso stand auf Lilys Karte etwas von Küssen, während die an Luke unbeschrieben war?
«Standen Sie Lily nahe? Ich meine, Sie hatten natürlich eine körperliche Beziehung mit ihr, aber haben Sie auch viel mit ihr geredet? Hatten Sie das Gefühl, sie gut zu kennen?»
Zum ersten Mal war ihm eine Frage sichtlich unangenehm. Er suchte nach den richtigen Worten. Schließlich antwortete er ganz schlicht. «Ich war völlig vernarrt in sie. Ich glaubte, sie zu lieben. Zumindest eine Zeit lang. Nein, es ging nicht nur um Sex.»
«Hat sie Ihnen irgendetwas erzählt, was uns einen Hinweis auf ihren Mörder geben könnte? Hatte sie Probleme, Sorgen, hatte sie vielleicht vor irgendetwas Angst?»
«Sie hat nicht viel von sich erzählt.»
Wahrscheinlich, dachte Vera, hatte sie auch kaum Gelegenheit dazu.
«Kurz vor unserer Trennung hat sie mir erzählt, dass sie sich mit jemandem von früher treffen wolle. Eine Person, die sie noch aus dem Dorf kannte, wo sie aufgewachsen war. Das war offenbar ein großes Ereignis für sie. Sie war eher eine Einzelgängerin. Sie schien nicht viele enge Freunde zu haben.»
«Ein Mann oder eine Frau?»
Ben Craven?
«Eine Frau.» Er schwieg. «Augenblick, mir fällt auch derName gleich wieder ein. Zumindest der Vorname. Sie war Krankenschwester im Royal Victoria. Kath.»
Vera brauchte einen Augenblick, um zu begreifen. Kath Armstrong. Geoffs Frau. Lukes Stiefmutter.
KAPITEL DREIUNDDREISSIG
Vera traf Kath Armstrong im Krankenhaus an. Der Nachtdienst hatte eben erst begonnen, sie saß noch in einer Besprechung mit der Spätschicht. Vera wartete an der Tür des Schwesterntrakts und lauschte den gedämpften Stimmen, die aus dem Büro der Oberschwester drangen; hin und wieder hörte man ein leises Lachen. Die Besuchszeiten waren bereits vorbei, es war ruhig auf der Station. Die Patientinnen in den Krankenzimmern sahen mit Kopfhörern fern oder lasen. Hier und da plauderten einige miteinander. Am anderen Ende des Ganges wurde der Wagen mit dem Abendessen davongeschoben. Auf den Fensterbänken ließen Blumensträuße, die jeder Beerdigung zur Ehre gereicht hätten, in der Hitze die Köpfe hängen. Vera war noch nie im Krankenhaus gewesen und wusste instinktiv, dass sie es grauenhaft finden würde. Nicht, weil sie sich vor Krankheit oder Schmerzen fürchtete, und auch nicht des scheußlichen Essens oder des Verzichts auf Alkohol wegen, sondern aus Angst vor dem Kontrollverlust. Sie fürchtete sich davor, Menschen ausgeliefert zu sein, die mehr über ihren Körper wussten als sie selbst.
Die Besprechung war vorbei, und Kath kam nach draußen. Sie unterhielt sich noch mit einer Kollegin und bemerkte gar nicht, dass Vera auf einem der orangefarbenen Stühle saß, wo sonst die Patienten warteten, die entlassenwerden sollten. Vera sprach sie an. «Kann ich kurz mit Ihnen reden? Es tut mir wirklich leid, Sie hier bei der Arbeit zu stören, aber es ist wichtig.»
«Es ist doch nichts passiert, oder?» Vera sah kurz die Panik in Kaths Blick und wusste, dass sie an ihre kleine Tochter dachte.
«Nein, passiert ist nichts. Können wir uns trotzdem irgendwo unterhalten?»
Kath wandte sich ab und flüsterte kurz mit einer Dame mittleren Alters, die ihrer Uniform nach die Oberschwester sein musste. «Maggie sagt, wir können in ihr Büro gehen.»
Und so setzten sie sich in den Raum, wo die Krankenschwestern gerade ihre Besprechung gehalten hatten. Das Foto auf dem Schreibtisch zeigte zwei kleinen Jungen vor einem Bauernzaun, daneben einen Mann mit Bart und Brille. Der Ehemann und die Kinder der Oberschwester. An der Wand hing eine
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