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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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gestiegen ist?»
    «Ich weiß es nicht. Ich war nicht da. Ich habe die letzte Nacht auswärts verbracht.» Sie sah Vera an. «Ich war bei Gary. Bitte sagen Sie meiner Mutter nichts davon. Ich musste einfach hier raus, ein bisschen was trinken.»
    «Und wann sind Sie denn aufgestanden? Sie hatten wohl einen kleinen Kater, was?»
    «Ja, so was in der Art. Ich habe geschlafen wie ein Stein, bis zehn.»
    «War Gary die ganze Zeit über bei Ihnen?»
    «Wir haben die Nacht nicht zusammen verbracht. Ich habe auf dem Sofa geschlafen.»
    «Dann hätte er die Wohnung also verlassen können, ohne dass Sie etwas merken.» Vera sprach halb zu sich selbst. Sie erwartete keine Antwort.
    «Wo ist Laura?» Julies Frage geriet zum Schrei, und die Mutter stürzte aus der Küche herein.
    «Das wissen wir nicht. Wir sind bereits alle auf der Suche nach ihr. Die Schule und meine Leute, und das sind wirklich die Allerbesten weit und breit.»
    «Wann ist Laura aus dem Haus gegangen?» Julie drehte sich zu ihrer Mutter um. «Hat sie den Bus noch erwischt?»
    «Sie ist zur selben Zeit gegangen wie immer. In letzter Sekunde aus dem Haus gestürmt, keine Zeit fürs Frühstück. Ich hatte ihr ein Pausenbrot zurechtgemacht, das wollte sie aber nicht mitnehmen.»
    «Hast du etwa wieder mit ihr geschimpft, bevor sie gegangen ist?» Julie lief knallrot an vor Wut. «Ständig musst du an allen rummeckern.»
    Mrs   Richardson kämpfte mit den Tränen. «Ich habe gar nicht mit ihr geschimpft. Ich habe ihr gesagt, wie tapfer ich sie finde, weil sie zur Schule geht, und ihr einen guten Tag gewünscht.»
    «Ach, Mum, es tut mir so leid. Das ist alles meine Schuld. Ich hätte hier sein müssen. Sie hat mich gebraucht, und ich war die ganze Zeit nur mit mir selbst beschäftigt. Genauso wie an dem Abend, als Luke starb.»
    «Für so was haben wir jetzt wirklich keine Zeit», sagteVera. «Solche Ausbrüche heben Sie sich mal für später auf, wenn wir Laura wiederhaben. Im Augenblick brauche ich Informationen. Die Abfahrtszeiten des Busses. Die Namen der Freunde, mit denen sie zur Schule fährt. Ihre Lieblingslehrer und die Lehrer, die sie nicht ausstehen kann. Jungs, mit denen sie zusammen war, aktuelle und verflossene. Fangen Sie schon mal an, mir eine Liste zu machen, ich sehe mir so lange die Karte an.» Sie riss eine Seite aus ihrem Notizbuch und drückte Julies Mutter einen Stift in die Hand. Als sie aus dem Zimmer ging, saßen die beiden Frauen nebeneinander auf dem Sofa, hemmungslose Tränen auf den Wangen und dennoch auf die Aufgabe konzentriert, Namen zusammenzutragen.
    Der Umschlag lag mitten auf dem Küchentisch. Von dem Moment an, als Julies Anruf gekommen war, hatte Vera versucht, sich einzureden, dass das alles bloße Zeitverschwendung sein würde. Die Frau übertrieb wahrscheinlich maßlos. Sicher stellte sich heraus, dass die Karte von einer Freundin kam, von jemandem aus der Familie oder einem Lehrer. Alles halb so wild. Doch als sie den Umschlag sah, erkannte auch Vera die Druckbuchstaben. Diesmal stimmte auch die Adresse. Sogar die Postleitzahl stand dabei. Der Umschlag war nicht zugeklebt, die Lasche einfach nur hineingeschoben. Keine Speichelspuren, auch nicht an der selbstklebenden Briefmarke. Vera zog Pinzette und Latexhandschuhe aus der Tasche, streifte die Handschuhe über und holte die Karte aus dem Umschlag. Eine gepresste Blume. Eine kleine blaue Blüte, die sie nicht erkannte. Auf der Rückseite stand nichts, genau wie auf der Karte, die Luke bekommen hatte. Keine Küsse.
    Sie rief Holly in Kimmerston an. «Es ist ganz klar derselbe Absender. Die Karte muss sofort ins Labor. Und machen Sie denen mal Dampf wegen der anderen.»
    Dann rief sie Ashworth an, hörte aber gleich, dass er von jungen Mädchen umringt war und nicht reden konnte. «Rufen Sie mich an», sagte sie, «sobald Sie irgendwas rausfinden.» Sie wusste zwar, dass er das ohnehin tun würde, fühlte sich aber besser, wenn sie ein paar Befehle austeilen konnte.
    Dann setzte sie wieder ihre ruhige, leicht dümmliche Miene auf und ging ins Wohnzimmer zurück. Sie schrieb Hollys Durchwahl auf einen Zettel und gab ihn Mrs   Richardson. «Das ist eine ganz nette junge Kollegin. Rufen Sie sie an und geben Sie ihr alle Namen durch, die Ihnen einfallen. Julie, Sie kommen mit mir. Ich möchte, dass Sie mir den Weg zeigen, den Laura immer zur Bushaltestelle nimmt. Ich habe mein Handy dabei und werde angerufen, sobald es etwas Neues gibt. Wir können beide ein bisschen frische

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