Totenblüte
schließlich mit dem besten Freund deines Mannes ins Bett.
Außerdem hatte sie nie Forderungen an Samuel gestellt. Das war die Vereinbarung zwischen ihnen. Und so legte sie wieder auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
Dann entschloss sie sich spontan, den Tag in Morpeth zu verbringen. Sie wollte Menschen um sich haben, ein bisschen shoppen, einen Kaffee trinken gehen und dann ein schönes Mittagessen mit einem Glas Wein dazu. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, sich umzuziehen oder noch einmal zu schminken, suchte nur Autoschlüssel und Handtasche zusammen und verließ fast fluchtartig das Haus. Als sie die Tür hinter sich abschloss, hörte sie drinnen das Telefon klingeln. Einen Moment lang zögerte sie, ging dann aber doch nicht wieder hinein. Vielleicht würde sie ja später in der Bibliothek vorbeischauen und Samuel besuchen; doch erst brauchte sie Zeit, um sich zu überlegen, was sie ihm sagen wollte.
KAPITEL ACHTUNDDREISSIG
Vera hatte Julie in die Obhut eines psychologischen Betreuers der Polizei gegeben und ihn angewiesen, die verängstigte Mutter auf keinen Fall nach Hause zu lassen, sie zu einer Freundin oder zu ihren Eltern zu bringen – ganz gleich wohin, nur nicht zurück ins Dorf, wo schon bald ein Team von Spezialisten jeden Millimeter des Weges von den Schrebergärten bis zur Hauptstraße absuchen würde. Jetzt war sie zurück auf dem Revier. Sie hatte ihre Leute zusammengetrommelt, ihre drei engsten Mitarbeiter, die sie vom Schreibtisch aus mit lauter Stimme in ihr Büro zitierte. Charlie telefonierte noch mit dem Beamten, der die Haustürbefragung in Seaton leitete. Joe Ashworth war gerade von der Schule zurück; er wirkte mitgenommen und etwas aufgelöst. Vera vermutete, dass er an seine eigene Tochter dachte. Würde er es wagen, Katie allein in die Stadt zur Schule fahren zu lassen, wenn sie einmal vierzehn war?
«Laura war eindeutig nicht im Bus», berichtete er. «Die anderen Mädchen haben sich aber nicht viel dabei gedacht. Sie haben vermutet, dass sie einfach mal wieder einen Tag Ruhe braucht, nach allem, was mit Luke passiert ist.» Er schwieg kurz. «Ich hatte den Eindruck, dass sie gar nicht viele enge Freunde hat. Sie waren erschrocken, als sie hörten, dass Laura vermisst wird, fanden es irgendwie auch aufregend. Aber es schien niemandem sonderlich nahe zu gehen. Die Lehrer haben mir erzählt, sie hätte sich eher von ihren Mitschülern abgesondert. Ein Mädchen meinte, sie hätte immer ziemlich reserviert gewirkt.»
Natürlich ist sie reserviert, dachte Vera. Sie muss sich ja auch schon seit ihrer Kindheit damit auseinandersetzen, dass alle sie wegen Luke hänseln. Und einen Augenblicklang fragte sie sich, ob alles nicht doch viel einfacher war als vermutet. Vielleicht hatte doch Laura ihren Bruder umgebracht. Aus Rache. Weil er Tom Sharp nicht gerettet hatte, als er in den Tyne gefallen war. Weil er immer alle Aufmerksamkeit abbekam und ihr das Leben zur Hölle machte, weil er nie Rücksicht auf ihre Bedürfnisse nahm. Und nun war sie ausgerissen. Vielleicht war Lilys Tod ja nichts weiter als ein schrecklicher Zufall. Nun sei nicht albern, dachte sie sich. Natürlich gab es eine Verbindung zwischen den beiden Morden. Und schließlich hatte sie ja auch immer noch den einen offensichtlichen Verdächtigen im Hinterkopf.
Holly brachte Kaffee herein: vier Becher auf einem Tablett, einen Stapel Kondensmilchdöschen auf einer angestoßenen Untertasse. Es war das erste Mal, dass sie von sich aus Kaffee holte, ohne erst nachdrücklich dazu aufgefordert zu werden.
Charlie hatte sein Telefonat beendet und kam jetzt ebenfalls herein. «Nichts», sagte er. «Zumindest bisher nicht. Einige der Anwohner sind natürlich schon bei der Arbeit. Ich habe den Leuten vor Ort gesagt, sie sollen sich die Telefonnummern besorgen und sie im Büro anrufen, für den Fall, dass doch jemand Laura gesehen hat.»
Unter anderen Umständen hätte Vera sich wahrscheinlich gefreut, dass ihr Team endlich einmal Einsatz zeigte, gut zusammenarbeitete, ein bisschen Grips bewies.
«Ich habe den Bericht des Untersuchungsrichters über den Tod von Parrs Frau», fuhr Charlie fort. «Es war eindeutig Selbstmord. Sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Die Unterlagen liegen auf Ihrem Schreibtisch.»
Vera nickte zum Dank.
«Wir müssen uns jetzt wieder auf die Familie Armstrong konzentrieren», sagte sie. «Vielleicht war die ganze Geschichtemit Peter Calvert ja nur ein Ablenkungsmanöver. Womöglich war Lily
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