Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
versucht
zurückzuweichen. »Lass mich los.«
    Er verharrt auf den Knien, das Gesicht
in die Hände vergraben. Scarpetta entfernt das Magazin und zieht den Hebel
zurück, um sich zu vergewissern, dass keine Patrone in der Kammer ist. Nachdem
sie die Pistole in der Schublade des Tischchens neben der Tür verstaut hat,
hebt sie den Motorradschlüssel auf, um ihn und das Magazin der Pistole im
Schirmständer zu verstecken. Dann hilft sie Marino auf die Beine und führt ihn
ins Gästezimmer neben der Küche. Er scheint das schmale Bett vollständig
auszufüllen, als sie ihn hineinschiebt, ihm die Stiefel auszieht und eine
Steppdecke über ihn breitet.
    »Ich komme gleich wieder«, sagt
sie und lässt das Licht an.
    Im Gästebad füllt sie ein Glas
mit Wasser und nimmt vier Advil-Kopfschmerztabletten aus einem Döschen.
Anschließend schlüpft sie in einen Bademantel. Ihre Handgelenke schmerzen, ihre
aufgeschürfte Haut brennt, und beim Gedanken an seine Hände, seinen Mund und
seine Zunge wird ihr übel. Würgend beugt sie sich über die Toilette. Danach
lehnt sie sich ans Waschbecken, atmet tief durch und betrachtet ihr gerötetes
Gesicht im Spiegel. Sie ist sich ebenso fremd wie er. Nachdem sie sich das
Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen hat, spült sie sich den Mund aus und
wäscht seine Berührungen und auch die Tränen weg. Es dauert eine Weile, bis sie
sich wieder gefasst hat. Als sie ins Gästezimmer zurückkehrt, schnarcht er.
    »Marino. Wach auf. Setz dich
hin.« Sie hilft ihm dabei und klopft die Kissen hinter seinem Kopf zurecht.
»Hier, nimm das und trink das Wasserglas aus. Du brauchst jetzt viel
Flüssigkeit. Wahrscheinlich wirst du dich morgen früh miserabel fühlen, aber
so wird es erträglicher.«
    Er trinkt das Wasser und
schluckt die Tabletten. Während sie das Glas nachfüllen geht, dreht er das
Gesicht zur Wand. »Mach das Licht aus«, sagt er, wobei er ihr weiter den Rücken
zukehrt.
    »Du musst wach bleiben.«
    Er antwortet nicht.
    »Du brauchst mich nicht
anzuschauen, aber du musst wach bleiben.«
    Marino rührt sich nicht. Er
stinkt nach Whisky, Zigaretten und Schweiß. Der Geruch erinnert Scarpetta an
den Zwischenfall von gerade eben, und sie spürt wieder die wunden Stellen und
seine Hände an ihrem Körper. Brechreiz steigt in ihr auf.
    »Keine Angst«, sagt er mit
belegter Stimme. »Ich haue ab. Du musst mich nie mehr wiedersehen. Ich
verschwinde für immer.«
    »Du bist sturzbetrunken und
weißt nicht, was du tust«, erwidert sie. »Allerdings möchte ich, dass du dich
daran erinnerst. Du wirst lange genug wach bleiben, damit du morgen früh nicht
vergessen hast, was passiert ist. Nur so können wir das Problem klären.«
    »Was ist nur los mit mir?
Beinahe hätte ich den Kerl erschossen. Ich konnte mich kaum noch beherrschen.
Ich weiß nicht, welcher Teufel mich geritten hat.«
    »Wen hättest du beinahe
erschossen?«, fragt sie.
    »Den Burschen im Saloon.« Seine
Zunge ist schwer. »Keine Ahnung, was in mich gefahren war.«
    »Erzähl mir, was im Saloon
vorgefallen ist.«
    Schweigend starrt er an die
Wand. Sein Atem geht stoßweise.
    »Wen hättest du beinahe
erschossen?«, wiederholt sie mit lauter Stimme.
    »Er behauptete, jemand hätte ihn
geschickt.“
    »Geschickt?«
    »Er hat dir gedroht. Deshalb war
ich kurz davor, abzudrücken. Und dann fahre ich zu dir und benehme mich auch
nicht besser als er. Am besten bringe ich mich um.«
    »Das wirst du nicht tun.«
    »Es wäre aber wirklich besser.«
    »Nein, du würdest alles nur noch
schlimmer machen. Verstehst du mich?«
    Er antwortet nicht und weicht
ihrem Blick aus.
    »Wenn du dich umbringst, werde
ich dich weder bemitleiden noch dir verzeihen«, fährt sie fort. »Selbstmord ist
Egoismus in Reinkultur. Wir werden es dir für immer übelnehmen.«
    »Ich bin nicht gut genug für
dich. Daran wird sich auch nie etwas ändern. Los, sag es schon, damit wir es
endlich hinter uns haben.« Er spricht, als hätte er einen Lappen im Mund.
    Als das Telefon am Nachttisch
läutet, hebt sie ab.
    »Ich bin es«, beginnt Benton.
»Hast du meine Mail gelesen? Wie geht es dir?«
    »Ja, und dir?«
    »Kay, ist alles in Ordnung?“
    »Ja, und du?«
    »Verdammt, ist jemand bei dir?«,
fragt er erschrocken.
    »Alles bestens.«
    »Kay? Ist jemand bei dir?«
    »Lass uns morgen reden. Ich habe
beschlossen, zu Hause zu bleiben und etwas im Garten zu tun. Bull wollte
vorbeikommen, um mir zu helfen.«
    »Bist du sicher, dass du ihm
trauen kannst?«
    »Inzwischen

Weitere Kostenlose Bücher