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Totenbuch

Totenbuch

Titel: Totenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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greift durch das Loch, schiebt den Riegel zurück
und öffnet die Tür. Die Alarmanlage geht los. Als er den Code eingibt, verstummt
sie.
    Nun ist er in dem Haus, das er
schon seit vielen Monaten beobachtet. So lange hat er sich alles ausgemalt und
sorgfältig geplant, dass die Tat an sich ein Kinderspiel und deshalb fast ein
wenig enttäuschend ist. Er geht in die Hocke, steckt seine sandigen Finger
durch die Ritzen in dem Drahtkäfig und flüstert dem Basset zu: »Alles in
Ordnung. Alles wird gut.«
    Der Basset hört auf zu bellen.
Will lässt den Hund an seinem Handrücken lecken, der frei von Klebstoff und
Sand ist. »Guter Junge«, raunt er. »Keine Angst.«
    Seine sandigen Füße tragen ihn
von der Waschküche in die Richtung, aus der die Geräusche des Films kommen,
der wie immer im Wohnzimmer läuft. Sie hat die schlechte Angewohnheit, die Tür
weit offen zu lassen, wenn sie zum Rauchen nach draußen geht. Dann sitzt sie
auf den Stufen und starrt in den Swimmingpool mit dem schwarzen Boden, der an
eine klaffende Wunde erinnert. Ein Teil des Qualms weht ins Haus, wenn sie mit
ihrer Zigarette dasitzt und in den Pool stiert. Auf diese Weise kann der Rauch
sich auf sämtlichen Oberflächen ablagern, sodass die Luft im Haus für Will
abgestanden und stumpf riecht. Die Atmosphäre im Raum ist ebenso bleiern und
mattgrau wie seine Bewohnerin. Ein abstoßender Geruch, der Will an den Tod
erinnert.
    Wände und Decke sind ockerfarben
und rötlich braun gestrichen. Erdtöne. Der Steinfußboden hat die Farbe des
Meeres. Jede Tür besitzt einen runden Bogen. Der Bärenklau in den riesigen
Töpfen ist schlaff und braun, da sie die Pflanzen nicht richtig gießt. Auf dem
Steinfußboden liegen dunkle Haare - Kopfhaare und Schamhaare -, weil sie,
manchmal nackt, hin und her läuft und sie sich ausreißt. Sie selbst liegt
schlafend auf dem Sofa und hat ihm den Rücken zugekehrt. Die kahle Stelle an
ihrem Hinterkopf leuchtet bleich wie der Vollmond.
    Seine nackten sandigen Füße
verursachen kein Geräusch. Der Film läuft weiter. Michael Douglas und Glenn
Close trinken Wein, begleitet von einer Arie aus Madame Butterfly, die aus der Stereoanlage dringt. Will
bleibt im Türbogen stehen und sieht sich Eine verhängnisvolle Affäre an. Inzwischen kennt er den Film auswendig,
so oft hat er ihn sich mit ihr - von der anderen Seite des Fensters aus -
angeschaut, ohne dass sie etwas davon ahnte. Er hört die Dialoge in seinem
Kopf, bevor die Darsteller die Sätze aussprechen. Michael Douglas will gehen,
Glenn Close zerreißt zornig sein Hemd.
     
    Reißen und zerren, um endlich an
das heranzukommen, was sich darunter verbirgt. Er hatte so viel Blut an den
Händen, dass die Farbe seiner Haut nicht mehr zu erkennen war, als er
versuchte, Roger die Gedärme zurück in den Leib zu schieben. Wind und Sand
peitschten auf sie beide ein, und sie konnten einander kaum noch sehen,
geschweige denn sich verständlich machen.
     
    Sie schläft auf dem Sofa weiter,
ist offenbar zu betrunken oder mit Tabletten vollgepumpt, um ihn zu hören.
Deshalb spürt sie nicht, wie sein Geist neben ihr schwebt und darauf wartet,
sie davonzutragen. Sie wird ihm dankbar sein.
     
    »Will! Hilf mir! Bitte hilf mir!
Oh, bitte, Gott!« Seine Schreie. »Es tut so weh! Bitte lass mich nicht
sterben!«
    »Du wirst nicht sterben.« Er
hielt ihn im Arm. »Ich bin ja da. Ich bin da. Ich bleibe bei dir.«
    »Ich halte das nicht aus.«
    »Gott lädt einem nie mehr auf,
als man tragen kann.« Die Worte seines Vaters seit Wills Kindheit. »Das stimmt
nicht.«
    »Was stimmt nicht?«, fragte sein
Vater in Rom, als sie im Wohnzimmer Wein tranken und Will den antiken Steinfuß
in der Hand hielt.
    »Es war überall auf meinen Händen
und meinem Gesicht. Ich habe es geschmeckt. Ihn geschmeckt. Ich habe so viel
von ihm geschmeckt, wie ich konnte, um ihn in mir am Leben zu erhalten, weil
ich ihm versprochen hatte, dass er nicht sterben würde.«
    »Lass uns draußen einen Kaffee
trinken gehen.«
     
    Will betätigt den Knopf an der
Wand, um die Lautsprecher aufzudrehen, bis der Film in voller Lautstärke
dröhnt. Sie fährt hoch und fängt an zu schreien. Doch der Films übertönt ihre
Stimme, als er sich über sie beugt, ihr einen sandigen Finger auf die Lippen
legt und langsam den Kopf schüttelt, damit sie still ist. Er schenkt ihr Wodka
nach, reicht ihr das Glas und fordert sie mit einer Kopfbewegung zum Trinken
auf. Dann stellt er Anglerkoffer, Taschenlampe und Kamera auf den

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