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TotenEngel

TotenEngel

Titel: TotenEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Fischer
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nicht wieder zur Flasche greift und sich dann im Delirium aus dem Fenster stürzt. Er behauptet, nichts mehr zu trinken, aber ich glaube, er hält nicht mehr lange durch. Ich habe die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt, was nicht schwer war – er hat ja nur ein Zimmer. Es gibt nicht ein einziges Bild darin, nicht von meiner Mutter, nicht von meiner Schwester, nicht von mir. Nur die Luft ist stickig, sie stinkt vor Erinnerungen an den Unfall, er schwitzt sie aus und wird sie doch nicht los. Ja, doch, war ein schönes Wochenende. Ist immer schön, einen erwachsenen Mann weinen zu sehen.«
    Niemand fragte den Commissaris, wie er sein Wochenende verbracht hatte.

11
    Es gab sogar die passende Musik. Die Musik passte zu den niedrigen Mauern aus grauen Mischbetonplatten, dem flachen Kiesdach und den großen Fenstern mit den rot lackierten Rahmen und Maschendrahtscheiben im Erdgeschoss. Sie passte zu der von sternförmigen Sprüngen durchzogenen Glastür am Eingang des Hauptgebäudes. Sie passte zu den Basketballkörben auf beiden Seiten des asphaltierten Hofs und den Haufen feuchten Laubs darunter. Aber am besten passte sie zu den Schülern, die sich auf dem windigen, nackten Asphaltplatz tummelten, allein, zu zweit oder in Trauben zusammengerottet wie Häftlinge beim Luftschnappen. Die Musik war Rap oder Hip-Hop oder Raj; sie schepperte aus iPod-Kopfhörern, stampfte aus Gettoblastern, plärrte aus Handys. Jeder schien etwas anderes zu hören, aber in allen Songs kam in regelmäßigenAbständen das Wort Killa oder Gangsta oder Motherfucka vor, sogar in den arabischen.
    Der Commissaris konnte sich nicht erinnern, wie lange es her war, dass er einen Schulhof betreten hatte. Es kam ihm vor, als ginge er durch einen Videoclip oder eine Szene aus einer Fernsehserie, eine bunte, schnelle, laute Inszenierung. Ein paar Schüler lümmelten in Gruppen unter den Baseballkörben herum, andere lehnten an dem Drahtzaun, der den Platz umgab, oder rannten hinter einem Ball her. Wieder andere starrten auf ihre Handys oder Gameboys, unberührt vom Gelächter, den Schreien ringsumher. Mädchen warfen mit zusammengeknüllten Pappbechern, provozierten die Jungen mit schnippischen Gesten oder rempelten sich gegenseitig an.
    Und trotzdem wirkte alles irgendwie gestellt, nicht ganz ernst gemeint, als müsste jeden Augenblick eine Stimme Action! rufen, bevor ein farbiger, mit den gesamten Goldvorräten eines afrikanischen Zwergstaats behängter Rapper sich seinen Weg durch die Menge bahnte und mit wiegendem Oberkörper und abgespreizten Fingern von Gangstas, Killas und Motherfuckas sang, das Ganze übertrieben hektisch und in grellen Farben an einem schönen, frischen Septembermorgen in Amsterdam.
    Aber es gab keinen Rapper, nur das Durcheinander von ein paar Hundert Jugendlichen, die ausgestattet waren mit tief ins Gesicht gezogenen Wollmützen, Baseballkappen, Baretten oder Kapuzen, mit Sneakers und Jeans aller Marken, in baggy pants, Jogginghosen mit weißen oder roten Streifen an den Seiten, kurzen Lederröcken, T-Shirts, muscle shirts , karierten Windjacken, abgewetzten Lederblousons oder Westen aus bunter Seide: keine Unterrichtspause, eher eine Werbeunterbrechung.
    Der Commissaris ging über den Platz und blickte den Schülern ins Gesicht. Manche sahen aus wie zornige Engel, bleich, das Haar gefärbt und verschnitten, mit blinkenden Piercings in den Augenbrauen oder Lippen und verschorften Kratzern im Gesicht. Andere wirkten unfertig, mit kleinen Inseln ersten Bartwuchses am Kinn und auf den Wangen. Es gab Jungen, die seinem Blick standhielten,und andere, die schnell wegsahen, sich abwandten, und wieder andere, die wegsahen, bevor ihr Blick neugierig und voller unausgesprochener Fragen zurückkehrte.
    Van Leeuwen speicherte, was er sah. Es war die Technik, die von den Regisseuren und Kameramännern der Clips und Fernsehserien kopiert worden war: die Polizeiroutine. Man sah das Gesamtbild, holte das eine oder andere heraus – kleine Schlaglichter in der Sonne, ein Blitzen, einen Stoß, ein Lachen –, zoomte heran, schwenkte von hier nach da und zurück, die Aufmerksamkeit wechselte rasch, manchmal hektisch. Aber immer wieder sicherte man das Gesamtbild, versuchte die ganze Zeit, alles im Auge zu behalten, um jederzeit auf alles vorbereitet zu sein. Und die ganze Zeit musste man sich vor Überreaktionen hüten: Das ist nur ein Schulhof, es ist nicht der Innenhof von Sing Sing, und ihr geht auch nicht Patrouille in Bagdad.
    Aber

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