Totenfeuer
viel zu lang.
»Ach, ist der süüüß!«, quietscht Jule.
Der Gutsbesitzer lächelt stolz. »Das ist der kleine Hengst von letzter Woche. Da hinten stehen noch zwei Stuten und ein Hengst aus dem vorigen Jahr. Wir haben zurzeit acht Zuchtstuten und zwei Zuchthengste, der Ältere ist mehrfach preisgekrönt.«
»Wie lange ist das Gut schon im Familienbesitz?«, fragt Jule.
»Mein Großvater Ludwig Felk hat es vor ungefähr siebzig Jahren gekauft. Die vorigen Besitzer sind ausgewandert.«
»Ich nehme an, die Vorbesitzer mussten auswandern?«, forscht Jule nach.
»Vermutlich. Schreckliche Zeiten.« Seine schwielige Hand fährt die Maserung des Zaunes nach, ehe er Jule abweisend ansieht und sagt: »Ist noch was? Sonst muss ich jetzt wieder an die Arbeit. Ich habe ja schließlich noch ganz nebenbei auch zwei Beerdigungen zu organisieren.«
»Nein, das war es fürs Erste«, sagt Jule. Sie verabschieden sich und gehen zum Wagen.
»Du hattest als Teenie bestimmt ein Reitpferd, gib es zu.«
»Nein, ich muss dich enttäuschen. Aber ich war fast jeden Tag in einem Reitstall in Isernhagen.« Was Jule verschweigt, ist, dass sie noch heute einmal im Jahr bei einer Schnitzeljagd mitreitet.
»Mädchen und Pferde«, murmelt Fernando kopfschüttelnd.
»Fahr du!«, sagt Jule.
Fernando setzt seine Sonnenbrille auf, legt den Gang ein und gibt Gas, als könnte er es kaum erwarten, der beklemmenden Atmosphäre dieses Anwesens zu entkommen. »Schrecklich, was vierzig Jahre Ehe aus den Leuten macht«, findet er. »Ob die beiden wohl noch Sex haben?«
»Eine unangenehme Vorstellung, so oder so«, grinst Jule.
»Wegen der Sache mit dem Großvater – ein Mordmotiv sehe ich da nirgends. Ich fürchte, Anna wollte ihrer Tante nur eins auswischen und hat sie deshalb bei mir angeschwärzt.«
»Hm.«
»Was?«
»Ein Testament kann man ändern, eine Erbschaft ist endgültig. Vielleicht wollte die gute Martha endlich die Sicherheit haben, dass ihr Lebenswerk auch wirklich ihnen gehört.«
»Ich finde, wir sollten uns erst mal mit dem Mord an Roland Felk befassen, ehe wir schlafende Hunde wecken«, wehrt Fernando ab.
»Apropos schlafende Hunde …«
»Gib nicht so an mit deinem iPhone «, mault Fernando, als er Jule auf dem Display herumtippen sieht.
»Ich arbeite. Siehst du, hier haben wir es schon: Tierheim Barsinghausen. – Mist! Anrufbeantworter.« Jule hinterlässt ihre Daten und die Bitte, sich zu melden, falls ein schwarzbraun-weißer Terriermix nach dem Ostersonntag dort abgegeben wurde.
»Wohin jetzt?«, fragt Fernando.
»In die PD . Ich bin am Verhungern.«
»Wir könnten ja gleich hier zu Mackens … Was ist denn das?« Fernando ist stehen geblieben, weil ein Polizist in gelber Leuchtweste mitten auf der Straße steht. Ein paar Meter hinter dem Polizisten mündet eine Seitenstraße ein, und auf der geht der Hundeführer, den sie vorhin kennengelernt haben. Vor ihm läuft, mit der Nase knapp über dem Boden, sein schwarzer Spürhund an einem Geschirr und einer langen Leine. Neben diesem Gespann sieht man Hauptkommissar Völxen auf einem Fahrrad, gefolgt von seiner Frau Sabine und seiner Tochter Wanda, ebenfalls auf Fahrrädern. Hinter ihnen zuckelt ein alter Benz mit einem Anhänger, wie sie für Pferdetransporte benutzt werden. Dem Benz folgen ein Übertragungswagen von Leine- TV und ein Streifenwagen mit eingeschalteter Warnblinkleuchte und Blaulicht. Hinter dem Polizeifahrzeug hat sich eine kleine Schlange von vier Fahrzeugen gebildet, auch eine kleine Schar neugieriger Fußgänger begleitet die Prozession, die nun auf die Hauptstraße einbiegt, während Völxen so tut, als bemerke er den Dienst- Audi mit seinen Mitarbeitern darin gar nicht. Der Gegenverkehr wird anscheinend schon weiter oben an der Kreuzung zur B 217 gestoppt, jedenfalls registriert Fernando kein entgegenkommendes Fahrzeug mehr auf der Ortsdurchfahrt.
»Jetzt übertreibt er es«, meint Fernando fassungslos, während Jule rasch aus dem Wagen springt, ihr Handy zückt und die Videofunktion aktiviert. »Das glaubt uns Oda sonst nie«, ruft sie begeistert.
Oda ist in die Ausdrucke der elektronischen Korrespondenz von Dr. Roland Felk vertieft, die Herr Tang großzügigerweise nicht gesperrt hat. Der wunderbare Herr Tang! »Mein Rücken fühlt sich zwanzig Jahre jünger an. Könnten wir das Gleiche mal mit meiner Leber machen?«, hat Oda zum Abschied gefragt und sich herzlich für die Behandlung und die E -Mail-Ausdrucke bedankt.
»Sie müssen
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