Totenfeuer
heißt, weil eine solche stets nur von Fall zu Fall gebildet wird, flößt den Leuten dieses Wort doch immer wieder Respekt ein. Auch jetzt ist Jos Kumpel verunsichert und schaut seinen Kollegen an, als wolle er abschätzen, ob dieser tatsächlich jemanden umgebracht haben könnte.
»Alles okay«, meint Jo lässig. Der Freund steigt wieder aufs Rad und fährt an der Ihme entlang davon. Auch Jo ist ein wenig eingeschüchtert, er folgt Fernando, der so tut, als studierte er im Gehen Jos Papiere, bis vor die Brücke. Doch statt einer Befragung packt Fernando mit einer blitzschnellen Bewegung Jos Pferdeschwanz, und ehe der verdutzte Musiker weiß, was mit ihm geschieht, hat Fernando ihm die Arme auf den Rücken gedreht und ihn hinter ein Gebüsch gezogen, wo er er ihm einen wohldosierten Fausthieb gegen das Kinn verpasst.
»He, Mann, was soll die Scheiße?«
Fernando hält seinen Gegner noch immer fest. »Jetzt hör mir mal zu, du mieser kleiner Kokser«, beginnt er seine Ansprache, in welcher er Jo eindringlich nahelegt, seiner minderjährigen Freundin in Zukunft tunlichst keine Drogen mehr zu verabreichen, weil er, Fernando, ihm sonst den Arsch aufreißen und dafür sorgen werde, dass auf jedem ihrer Konzerte die Drogenfahndung den Laden auseinandernähme, was sich in einer Stadt wie Hannover rasch herumspräche und sicherlich nicht zur Beliebtheit der Band bei den hiesigen Veranstaltern beitrüge. »Haben wir uns verstanden?«, vergewissert sich Fernando.
»Ja, aber …«
»Ob du es kapiert hast?« Fernando festigt seinen Griff, bis der junge Mann wimmert.
»Okay, okay, ja, ich hab’s kapiert, verdammt, lass mich los, ich hab’s ja kapiert!«
Fast tut ihm Jo nun leid, wie er sich das Kinn hält. Aber nur fast. Wer Teenagern Drogen verabreicht, hat eine kleine Lektion verdient. Fernando reibt sich die schmerzenden Knöchel seiner rechten Hand und geht davon. Er fühlt sich gut: Retter der Witwen und Waisen. Eigentlich, überlegt er, könnte man heute Abend mal ins Chez Heinz schauen, vielleicht lässt sich da was abgreifen.
Als Jule die Tür aufschließt, hört sie das Radio in der Küche dudeln. Ihr Herz macht einen kleinen Sprung. Erst jetzt wird ihr klar, wie sehr sie sich davor gefürchtet hat, in eine stille, leere Wohnung zu kommen. Sie stellt ihre Einkäufe ab und umarmt ihren Geliebten. Er riecht nach Rasierschaum. Seine Hand streicht über ihren Rücken, was bei Jule ein Kribbeln von der Kopfhaut bis zu den Zehen auslöst. Die Anspannung, die sie den ganzen Tag über begleitet hat, fällt von ihr ab wie ein schwerer, nasser Mantel. »Schön, dass du da bist«, flüstert sie. Sie geht kurz ins Bad – Zähne putzen, Make-up auffrischen – und beginnt dann damit, den Tisch zu decken. Die Wedgwoodteller ihrer Großmutter oder lieber Ikea ? Auf jeden Fall die großen, bauchigen Weingläser. Nervös flattert sie durch die Wohnung, während sie ihm erzählt, was der Tag an Ermittlungsarbeit gebracht hat. Macht man das nicht so als Paar, dass man sich am Abend erzählt, was tagsüber los war? Doch je mehr sie redet, desto auffälliger wird sein Schweigen. Warum ist er so still? Nicht einmal die Geschichte mit Völxens Schafbock entlockt ihm einen Kommentar. Hat er ein Schweigegelübde abgelegt?
»Kannst du mal den Wein aufmachen?« Sie reicht ihm den Korkenzieher.
Er steht auf, hält sie fest, vergräbt seine Nase in ihrem Haar. »Ach Jule«, seufzt er.
Es klingt unglücklich. Bestimmt geht ihm viel im Kopf herum, bestimmt macht er sich Sorgen und Vorwürfe wegen seines Sohnes.
»Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen«, sagt er, während er die Flasche öffnet. Sie sieht ihm dabei zu, bewundert seine eleganten Hände.
»Und? Was hat er gesagt?«, fragt Jule, froh, dass er endlich die Sprache wiedergefunden hat.
»Er hat ausgerechnet, was ich ihr an Unterhalt zahlen müsste. Mir würden noch nicht mal 1000 Euro zum Leben bleiben. Und wir müssten das Haus verkaufen, und zwar mit Verlust, so tief, wie die Immobilienpreise momentan sind.«
Jule hört auf, Pflaumen im Speckmantel auf einem Teller kreisförmig auszurichten, und sieht ihn an.
Sein Blick weicht dem ihren aus. Im Grunde ist nun jedes Wort überflüssig, doch er erklärt: »Es war dumm, was ich getan habe. Ich kann mir eine Scheidung einfach nicht leisten, Jule. Ich muss versuchen, mich irgendwie wieder mit meiner Frau zu versöhnen. Ich kann nicht bei dir bleiben, und was willst du auch mit einem armen Mann?«
Jule spürt auf einmal den
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