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Totenfeuer

Totenfeuer

Titel: Totenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Boden unter sich nicht mehr, aber gleichzeitig macht sich etwas Dunkles, Schweres in ihrem Inneren breit, etwas, von dem sie weiß, dass es eine ganze Weile dort bleiben wird. Er verlässt sie also wegen des Geldes. So einfach, so brutal. Warum hat er nicht einfach gesagt, er könne das seinem Sohn nicht antun? Das wäre weniger verletzend. Regungslos steht Jule da und sucht nach Erklärungen. Ist das, was Leonard gerade tut, tatsächlich so kalt, wie es sich anfühlt? Oder nur normal, verständlich, vernünftig? Ist sie eine hoffnungslose Romantikerin gewesen, die monatelang einem unerfüllbaren Traum hinterherjagte? Jule weiß, dass es ihr materiell deutlich besser geht als den meisten Menschen um sie herum. Sie hat sich niemals ernsthaft um Geld sorgen müssen. Sie konnte es sich sogar leisten, ihr Medizinstudium nach vier Semestern hinzuschmeißen, um sich ihren Kindheitstraum zu erfüllen und Polizistin zu werden. Das eher karge Anfangsgehalt einer angehenden Kommissarin macht ihr nicht wirklich zu schaffen, denn ihre Großmutter hat ihr einen Batzen Geld und gut verzinste Wertpapiere hinterlassen. Noch dazu ist sie die einzige Tochter eines renommierten, wohlhabenden Professors, der im Moment allerdings auch ganz schön bluten muss, um seine Exgattin zu unterhalten. Doch immerhin hat ihr Vater auf sein Herz gehört oder auf tiefere Regionen, egal, jedenfalls nicht auf seinen Anwalt oder den Steuerberater. Aber Professor Wedekin spielt finanziell gesehen in einer anderen Liga als Leonard, das kann man nicht vergleichen, sieht Jule ein. Ihr Vater fährt noch immer einen Maserati und teilt sich mit seiner neuen Lebensgefährtin eine schicke Wohnung im Zooviertel. Habe ich, das höhere Töchterchen, wie Fernando zu lästern pflegt, habe ich das Recht, Leonard zu verurteilen, weil er aus materiellen Gründen bei seiner Familie bleibt? Oder sind es gar nicht nur materielle Gründe? Liebt er seine Frau mehr, als er zugibt? Jedenfalls liebt er mich nicht genug, erkennt Jule. Sie dreht sich um und rennt hinüber ins Schlafzimmer.
    Seine Tasche steht fertig gepackt auf dem Bett. Der Anblick macht sie plötzlich sehr wütend. Wie lange sitzt er hier schon herum, fertig zum Aufbruch, während sie sich um sein Abendessen bemühte? Sogar rasiert hat er sich – aber nicht für sie! Ob er seine kleine Ansprache eben in der Küche wohl geprobt hat, oder war sie spontan improvisiert? Das bisschen Anstand, es ihr persönlich zu sagen, hätte er sich auch noch sparen können. Ebenso gut hätte er einen Zettel hinlegen oder eine SMS schicken können: Kann mir eine Scheidung nicht leisten, war nett mit dir, sorry, tschüs. Ihre Wut verlangt nach einem Ventil, sie feuert die Tasche hinaus in den Flur. Sie will eben die Tür zumachen, als er vor ihr auftaucht.
    »Jule, es tut mir leid. Ich hätte nicht herkommen sollen.«
    »Stimmt. Du hättest schon vor einem halben Jahr durchrechnen sollen, ob du dir eine Affäre leisten kannst«, antwortet Jule. Ihre Stimme klingt wie verknotet, aber sie ist stolz auf sich, dass sie noch nicht heult. Fast wünscht sie sich, er würde ihr einen Anlass geben, um mit Fäusten auf ihn loszugehen. Sie ist erschrocken über den abgrundtiefen Hass, den sie in diesem Moment empfindet. Wie konnte sie diese jämmerliche Gestalt jemals lieben?
    »Jule …«
    »Verschwinde!«
    Er holt Atem, als ob er noch etwas sagen wollte, aber es kommt nichts. Er dreht sich nur um und geht. Sie hört seine Schritte auf dem Parkett und das Zuschnappen der Tür. Sein Geruch hängt noch eine Weile im Raum wie ein dünner Vorhang, und dann ist auch das Vergangenheit. Jetzt ist es also vorbei. Kein Warten mehr auf einen Anruf oder eine SMS , nie mehr einem heimlichen Date entgegenfiebern, keine gestohlenen Nächte mehr.
    Sie öffnet das Fenster, ringt nach Luft. Unter ihr liegt der Hinterhof, still und dunkel, ein Vorgeschmack auf das Grab, kommt es ihr in den Sinn. Sie geht zurück ins Wohnzimmer, aber auch dort breiten sich die Schatten in den Ecken aus wie schwarze Löcher. Nein, sie kann hier nicht bleiben. Nicht jetzt, nicht heute. Sie schnappt sich Handtasche und Wagenschlüssel und verlässt fluchtartig ihre Wohnung.
    »Na so was, der Herr Kommissar!«
    »Das ist ja mal eine Überraschung!«
    »He, Völxen. Suchst du deinen Schafbock?«
    Gelächter. Völxen nötigt sich ein Lächeln ab. »’n Abend, die Herren.«
    »Schön, dass Sie bei uns sind. Wir brauchen dringend junges Blut«, begrüßt ihn die Chorleiterin Hedwig

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