Totenfeuer
ein wenig verlegen wirkt.
»Meine Tante Esmeralda möchte, dass Sie näher kommen. Sie sieht schlecht.«
Jule tritt neben die Theke. »Buenos días, Señora« , sagt sie lächelnd. Esmeralda erhebt sich langsam und entfaltet sich zu voller Länge, eine krallenartige Hand streckt sich nach Jule aus, eiskalte Finger fahren ihr über die Wangen, streichen durch ihr Haar. Jule fröstelt. Esmeralda lässt von ihr ab und schüttet einen aufgeregten Redeschwall über ihrer Nichte aus, der postwendend beantwortet wird. Vermutlich sprechen die beiden einen fürchterlichen Sevillaner Dialekt, denn Jule, die zwei Jahre Spanisch als Wahlfach hatte und ansonsten nur ein paar saftige Schimpfwörter von ihrem Kollegen gelernt hat, versteht kaum ein Wort. Das Palaver geht eine ganze Weile so. Ungehört verhallt Jules Räuspern. Sie scharrt ungeduldig mit den Füßen auf dem Betonfußboden, dann hebt sie die Hand wie früher in der Schule: »Äh, Entschuldigung …«
Keine der beiden beachtet sie, wie Maschinengewehrsalven zischen und knattern die harten Konsonanten durch den Laden. Esmeralda hat sich inzwischen wieder hingesetzt. Verdammt! Muss ich erst einen Warnschuss abgeben, damit ich hier einkaufen kann? Erst als Jule die kleine Glocke auf dem Tresen entdeckt und damit bimmelt, dreht sich Pedra mit reumütiger Miene zu ihr um. »Oh, verzeihen Sie, Jule. Was kann ich für Sie tun?«
Jule erklärt, sie brauche eine kleine, feine Auswahl von Tapas für zwei Personen. »Bitte nichts mit Knoblauch«, fügt sie hinzu, und Pedra macht sich daran, diverse Köstlichkeiten zusammenzustellen, während Esmeralda ununterbrochen vor sich hin brabbelt und zischelt wie ein Eintopf auf kleiner Flamme.
Pedra Rodriguez packt die Sachen ein, doch als Jule bezahlen will, wehrt sie ab. »Nein, das ist schon in Ordnung.«
»Das kommt überhaupt nicht infrage«, widerspricht Jule energisch. Wenn sie es einigermaßen überblickt, dann hat sie eben für ungefähr 50 Euro eingekauft, denn eine Flasche Rioja ist auch noch dabei. Doch statt einer Antwort kommt Pedra Inocencia Rodriguez hinter der Theke hervorgeschossen, packt Jules Arm und zerrt sie in Richtung Ausgang. Unter den wachsamen Blicken von Tante Esmeralda umfasst Pedra Jules Wangen wie ein Schraubstock, küsst sie laut schmatzend auf die Stirn und schiebt die Verblüffte mit den Worten »Chao, mi amor, adiós!« mitsamt ihren Einkäufen zur Tür hinaus.
Auf dem Küchentisch steht ein Strauß mit Osterglocken und Tulpen in Cellophan.
»Den kannst du Hanne Köpcke nachher in Demut überreichen.«
Schweigend füllt Völxen Wasser in die Kaffeemaschine. Was soll er auch sagen, Sabine hat ja recht. Er nimmt drei Tassen aus dem Schrank, während seine Frau darüber lamentiert, dass diese Schafe, insbesondere der Bock, dabei sind, ihren finanziellen und gesellschaftlichen Ruin herbeizuführen. Er ist froh, als es an der Tür klingelt. »Das ist Oda. Wir müssen was besprechen.«
»Warum sagst du mir das nicht?«
»Ich sag’s doch gerade.«
»Ja, jetzt, wo sie schon da ist!«
»Ich bin ja nicht zu Wort gekommen.«
»Du bist unmöglich!« Sabine eilt zur Tür. Völxen hört, wie sich die beiden freudig begrüßen. Oda und Völxen sind schon seit fünfzehn Jahren Kollegen, und so lange kennen sich auch Sabine und Oda.
»Geraucht wird draußen«, begrüßt Völxen seine Kollegin.
»Kein Problem. Ich glaube, ich habe damit aufgehört.«
»Was heißt, du glaubst ? Und seit wann?«
»Seit heute Mittag.«
»Was ist denn heute Mittag passiert?«, will Sabine wissen, während sie Oda Kaffee eingießt.
»Ich hab mit einem chinesischen Wunderheiler übers Rauchen gesprochen, eigentlich ganz locker und zwanglos. Und seither schmeckt es mir nicht mehr, ich habe es schon mehrmals versucht.«
»Bestimmt hat er dich heimlich hypnotisiert!«, vermutet Sabine.
»Das wäre allerdings eine Erklärung. Und eine Frechheit«, erregt sich Oda.
»Umso besser«, findet Völxen und kommt auf den Mordfall zu sprechen. »Lammers und Kolbe haben Alibis, allerdings nur von ihren Ehefrauen, wobei ich die Frau von Lammers nicht persönlich gesprochen habe, die war nicht da.«
Oda berichtet von der rasenden Exgeliebten, deren Name mit F beginnt.
»Verdammt«, entschlüpft es Völxen. »Hätte ich bloß nach den Vornamen der Frauen gefragt. Vor allem der von der Exfrau von Gutensohn wäre interessant.«
»Telefonbuch?«, schlägt Oda mit dem Mund voll Kuchen vor.
»Das haben wir gleich«, meint Sabine und
Weitere Kostenlose Bücher