Totenfluss: Thriller (German Edition)
immer noch in seinen Armen spüren. Fühlte, wie sie ihm entrissen wurden. »Ich hatte den Jungen, Henry. Ich hatte ihn zweimal, und ich habe ihn verloren. Susan war unter Wasser. Sie musste wiederbelebt werden.«
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte Henry. Seine Stimme war noch heiser vom Beatmungsschlauch. »Dieser Psychopath hat Schuld.«
»Ich muss diesen Jungen finden«, sagte Archie.
»Es ist vorbei«, sagte Henry sanft. »Es gibt nichts, was du dort noch tun kannst. Lass die Profis ihre Arbeit machen.«
Archie hörte Bewegung auf der Brücke, und als er den Kopf wandte, sah er einen Mann einen Streifenbeamten anschreien. Eine Frau begleitete ihn. Plötzlich erhellte ein Scheinwerferpaar die Szene, und Archie erkannte die beiden.
Es waren Patrick Liftons Eltern.
»Ich muss Schluss machen«, murmelte er, legte auf und gab Eaton das Handy zurück.
Eaton sah die Liftons ebenfalls und streckte einen Arm vor Archies Brust. »Ich kann mit ihnen reden«, sagte er.
»Ist schon gut«, sagte Archie. »Lassen Sie sie durch«, rief er dem Beamten zu, der sie aufzuhalten versuchte.
Der Beamte hob das Absperrband, damit Patrick Liftons Eltern darunter durchkriechen konnten.
Daniel Liftons Blick fiel auf Archie, und er lief auf ihn zu.
Sein Gesicht war verzerrt vor Leid, die Augen geschwollen. Er trug keine Jacke.
Eaton trat zwischen sie.
»Sie hatten ihn?«, fragte Lifton an Archie gewandt. Seine Stimme war beinahe ein Wehklagen.
»Ich konnte ihn nicht festhalten«, sagte Archie.
Archie dachte, dass Lifton ihn vielleicht schlagen könnte. Er wollte, dass er es tat. Er wollte den Schmerz spüren, wenn seine Haut aufplatzte, sein Kinn ausgerenkt wurde. Er wollte sein eigenes Blut schmecken.
Lifton drehte sich um und versuchte, ein Weinen zu unterdrücken. »Wir hatten ihn fast zurück.«
Eaton legte den Arm um Lifton und führte ihn ein paar Schritte weg. »Wir werden ihn finden.«
Ihn finden. Alle wussten, was er in Wirklichkeit meinte – die Leiche finden. Doch selbst das würde vielleicht nicht möglich sein. Der Fluss gab Leichname oft lange Zeit nicht frei.
Liftons Mutter trat nahe an Archie heran.
»Ich hätte ihn eigentlich zu Simons Haus begleiten sollen«, sagte sie. Sie stand neben ihm, blickte aber in die entgegengesetzte Richtung, auf den Fluss hinaus. Sie trug eine Baseballmütze, und Archie glaubte, Regen auf den Schirm klopfen zu hören. »Aber ich hatte bei einem Auftrag Verspätung, bei einer Website, die ich für einen kleinen Laden oben in Everett machte. Deshalb sagte ich zu ihm, er könne allein gehen. Ich saß da und schrieb Codes, während mein Sohn von einem Verrückten entführt wurde.«
»Was war das für ein Laden?«, fragte Archie.
»Das Pet Nook.«
Archie bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck. »Verkaufen sie Fische?«
Sie wandte den Kopf und sah ihn an. Die Schirmmütze verdunkelte ihr Gesicht. »Ja.«
»Waren Sie mit Patrick je dort?«, fragte Archie.
Sie nickte. Er konnte ihren Mund als schmale Linie erkennen. »Er hat mich ein paar Mal dorthin begleitet«, sagte sie. »Er saß hinten bei den Aquarien und hat Hausaufgaben gemacht, während ich mit dem Besitzer gesprochen habe. Er war gern dort hinten. Es hatte mit dem Licht zu tun. Er wollte immer mitkommen.« Ihre Stimme verlor sich, dann sah sie ihn aus traurigen Augen an. »Hat ihn der Kidnapper dort entdeckt? Hat er ihn ausgesucht? Wie man sich ein Haustier aussucht? Er hat ihn einfach ausgesucht und mitgenommen?«
»Er muss Ihnen nach Hause gefolgt sein.«
Das Funkgerät in Archies Hand knisterte und spuckte. »Detective Sheridan?«
»Ich bin hier«, sagte Archie und hob das Gerät an den Mund.
»Wir haben Ihren Detective gefunden. Flannigan. Er konnte über eine Feuerleiter entkommen. Es geht ihm gut.«
Archie schloss die Augen und atmete aus. Es verursachte Husten, und er zog den Kopf ein und hustete in die Decke um seine Schultern. Er hatte Mühe, wieder zu Atem zu kommen.
Als er sich erholt hatte, blickte er auf und sah, wie die Liftons und Eaton ihn anstarrten.
»Flannigan ist wohlauf«, sagte er.
Diana Lifton zeigte auf die Decke über Archies Schulter, wo ein dunkler Fleck auf der grauen Wolle zu sehen war.
»Das ist Blut«, sagte sie.
62
Die Röntgenaufnahme von Archies Lunge leuchtete hell von einem schwarzen Flachbildschirm in der Notaufnahme des Emanuel Hospital. Dr. Fergus saß auf einem Hocker. Er war groß, und der Hocker war zu klein für ihn, sodass seine Knie in einem
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