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Totenfluss: Thriller (German Edition)

Totenfluss: Thriller (German Edition)

Titel: Totenfluss: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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Etwas Absichtliches. Sein Kiefer öffnete sich. Seine Brust, die so eingesunken und blass, so altersschwach gewirkt hatte, dehnte sich aus und hob sich. Seine Haut bekam Farbe.
    »Er atmet«, sagte jemand.
    Susan spürte, wie ihr heiße Tränen über die Wangen liefen. Wenn Henry das hier überlebte, würde sie auf ihn hören, sie würde ihm nicht mehr in die Quere kommen, sie würde ihn weniger ärgern.
    Bitte, lieber Gott, ich verspreche es.
    »Wir haben einen Herzschlag«, sagte eine andere Stimme. »Und er wird stärker.«
    Susan drehte sich zu Archie und Claire, sie grinste und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Sie hatten es gehört. Archie half Claire bereits auf.
    Susans Handy läutete. Sie wusste, wer es war. Sie griff in ihre Handtasche und stellte es leise.

15
    Archie war an Schmerz gewöhnt. Da gab es den körperlichen Schmerz – die Rippen, die immer noch wehtaten, wo Gretchen sie gebrochen hatte, die Säure, die tief in seiner Kehle brannte, wo sich das Gift, das ihm Gretchen eingeflößt hatte, durch seine Speiseröhre gefressen hatte. Er hatte im Wesentlichen gelernt, damit zu leben. Er hatte sich beigebracht, nicht zu tief zu atmen, aufrecht zu sitzen, wenn er aß, auf dem Rücken zu schlafen. Der emotionale Schmerz hatte länger gedauert. Aber er konnte sich jetzt im Spiegel ansehen, mit Narben und allem. Er konnte Zeit mit seinen Kindern verbringen, ohne dass Schuldgefühle wie ein schlechter Geruch an ihm hingen.
    Es gab immer Schmerz. Der Trick bestand darin, ihn zu einem Teil von sich zu machen.
    Der Apparat, der für Henry ein- und ausatmete, ließ das Atmen leicht klingen. Regelmäßig, stark. Jeder Atemzug genau wie der vorhergehende. Man konnte sich täuschen lassen und solches Atmen für selbstverständlich nehmen.
    Es war 23.00 Uhr, und im Krankenhaus war es still. Sie hatten Henry auf die Intensivstation verlegt, ein Land ohne Türen, wo alle Krankenzimmer drei Wände hatten und zu einem Zentralbereich hin offen standen, wie ein Puppenhaus oder die Kulisse einer Fernseh-Sitcom. Alles da drin bestand aus braunem Formkunststoff, der Archie an die Tabletts in Schul-Cafeterien erinnerte. Gesprenkelte Linoleumböden, Seifen- und Handtuchspender an der Wand über einem Waschbecken. Es wirkte halb wie ein billiges Motel und halb wie eine öffentliche Toilette.
    Archie saß dort in einer Trainingshose und einem Sweatshirt, die er sich aus einem Lager des Krankenhauses geborgt hatte; seine eigenen Sachen lagen zusammen mit seiner Jacke als nasses Bündel in einer Plastiktüte zu seinen Füßen.
    Das Ökosystem war wiederhergestellt worden, alles war in Ordnung.
    Henry lebte fürs Erste, sein Herz schlug, sein Blut pulsierte. Aber die toxikologischen Tests hatten noch nichts erbracht, deshalb konnten die Ärzte nichts weiter tun, als möglichst dafür zu sorgen, dass Henry weiter atmete, bis sein Körper den Kampf gegen die Substanz aufnahm, die ihn lahmlegte. Archie hatte nicht vor, herumzusitzen und darauf zu warten, dass Henrys Herz erneut stehen blieb.
    Es gab eine Menge Dinge, die Archie nicht gut beherrschte. Er wusste es. Er konnte sie aufzählen wie die Namen von Angehörigen. Er war kein guter Ehemann gewesen. Er war schwach, zügellos und rücksichtlos gewesen. Er hatte der Versuchung nachgegeben und gelogen. Er hatte die Menschen enttäuscht, die sich auf ihn verließen. Aber er war ein guter Detective und war immer einer gewesen. Er konnte Mörder finden. Er konnte Leben retten.
    Sein Kopf pochte. Er drückte mit Daumen und Zeigefinger auf seine Nebenhöhlen. Er schmeckte das Flusswasser im Rachen, rostig und dumpfig wie abgestandene Cola. Es war mitten in der Nacht, aber von Schlaf war er weit entfernt. Er hatte vage mitbekommen, dass Claire nach unten gegangen war, um sich mit ihrer Schwester zu treffen. Er hatte nicht gewusst, dass Claire eine Schwester hatte. Aber sie war jetzt da. Das war gut. Die Schwester würde für Claire da sein und Claire für Henry. Das bedeutete, dass Archie gehen und das tun konnte, was er gut beherrschte – seine Arbeit.
    Sie mussten noch einmal in den Park gehen. Sie mussten Henrys letzte Schritte rekonstruieren. Archies Team war bereits dort. Sie mussten schneller sein als die Flut.
    Er hatte seine Stiefel offenbar im Fluss verloren. In den Krankenhaussachen konnte er zwar nach draußen gehen, aber er musste in seine Wohnung fahren und sich umziehen, ehe er arbeiten konnte.
    Doch zuerst musste Archie mit dem Jungen reden.
    Der Junge

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