Totenfluss: Thriller (German Edition)

Titel: Totenfluss: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain

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bedeutete.
    Henrys Mund ging auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen. Seine Zunge stieß an den Lippen vorbei und zog sich dann wieder zurück. Seine Ellenbogen waren angewinkelt, und seine Arme bewegten sich langsam am Körper.
    Aber er lebte nicht.
    Es waren Muskelspasmen von den ersten beiden Schocks.
    Es war besser, dass Claire und Archie das nicht sahen.
    »Zurücktreten«, tönte es aus dem Automatisierten Externen Defibrillator. »Berühren Sie den Patienten nicht. Rhythmus wird analysiert.« Die weibliche Computerstimme klang wie eines dieser Navigationsgeräte. Ruhig. Kompetent. Herrisch.
    Defibrillatoren hatten es weit gebracht, seit sie versucht hatten, Susans Vater mit Dingern wiederzubeleben, die wie zwei Reisebügeleisen aussahen.
    Henrys Krankenhausgewand stand offen, und seine grauhaarige Brust war nackt, bis auf die beiden weißen Klebeelektroden, eine auf der rechten Schulter über der Brustwarze, eine an der linken Körperseite, am unteren Ende des Brustkorbs. Weiße Drähte liefen von den Kissen zu dem Apparat auf dem Notfallwagen. Er sah aschfahl und eingesunken aus, wie ein alter Mann.
    Bei der Demonstration des neuen AED , die Susan gesehen hatte, war ein Dummy benutzt worden. Die Apparate sparten Zeit. In der alten Zeit hatte es Notfallteams gegeben – jemand aus der Kardiologie, jemand zum Beatmen. Es hatte viele Leute gebraucht, das EKG zu lesen und zu interpretieren und das Gerät zu bedienen. Mit den AED s konnte der erstbeste Krankenhausangestellte sofort mit der Defibrillation beginnen.
    Das hatten sie bei der Pressekonferenz zur Einführung der neuen Technologie erzählt.
    »Zurücktreten«, sagte der AED wieder. »Berühren Sie den Patienten nicht. Rhythmus wird analysiert.«
    Es war so still, dass Susan ihren eignen Herzschlag in den Ohren hören konnte. Ihre Kehle schnürte sich zu.
    Die fünf Leute des medizinischen Personals im Raum standen in der Bewegung erstarrt um Henrys Bett und warteten auf den Schock.
    Die Leute bäumten sich nicht auf oder machten einen Satz von ihrer Unterlage wie in den Krankenhausserien. Es war nur eine Art Zusammenzucken. Darüber hatte bei der Pressekonferenz niemand gesprochen.
    »Komm schon«, sagte einer der Ärzte, als wollte sein Auto gerade nicht anspringen.
    Susan fühlte Archies Blick auf sich und sah zu ihm. Sie wusste, dass er die Stille ebenfalls hören konnte. Er beobachtete sie, wartete darauf, dass sie die Schultern sinken ließ, dass ihr Kinn zu zittern begann – irgendein Hinweis, dass es vorbei war. Claire war auf den Boden gesunken und hatte den Kopf auf den Knien. Es dauerte schon zu lange. Man brauchte keine Pressekonferenz über Defibrillation, um das zu wissen.
    Susan sah wieder in den Raum, gerade rechtzeitig für den dritten Schock.
    Erinnert euch an das klare Licht, das reine, klare, weiße Licht, aus dem alles im Universum kommt, zu dem alles im Universum zurückkehrt. Das ursprüngliche Wesen eures eigenen Geistes. Der natürliche Zustand des nicht manifesten Universums.
    Sie sah Henry zusammenzucken. Wie jemand, der von einem fernen Geräusch aufgeschreckt wird.
    Sie hielt den Atem an. Der Puls in ihren Ohren hämmerte dumpf.
    »Puls überprüfen«, sagte der AED . »Wenn kein Puls, Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten.«
    Susan konnte den Herzmonitor nicht sehen, und sie wäre ohnehin nicht schlau daraus geworden. Er genoss jedoch die Aufmerksamkeit aller Anwesenden im Raum. Sie beobachteten ihn, ohne zu blinzeln, ohne einen Muskel zu rühren, als würden sie in der Mission Control in Houston darauf warten, dass Neil Armstrong seine Ankunft auf dem Mond verkündete.
    Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit.
    Susan war Henry ständig in die Quere gekommen. Sie hatte ihn vom ersten Moment an verärgert. Er hatte versucht, Archie zu schützen, und sie war entschlossen gewesen, ihn seinen Albtraum noch einmal durchleben zu lassen. Henry hatte auch versucht, sie selbst zu schützen, von Gefahren fernzuhalten. Aber sie hatte sämtliche Warnungen von ihm in den Wind geschlagen und wäre dabei selbst fast ums Leben gekommen. So war ihr Umgang mit Männern, die das Sagen hatten. Entweder sie rebellierte mit aller Kraft gegen sie, oder sie verliebte sich in sie. Nie irgendwas dazwischen.
    Moment mal.
    Henrys Kiefer bewegte sich.
    Das war kein Muskelspasmus. Susan konnte nicht sagen, warum, aber sie wusste sofort, dass es sich so verhielt. Das hier war etwas anderes.