Totenfluss: Thriller (German Edition)
Zwei Zigaretten hintereinander hatte sie seit dem Studium nicht mehr geraucht. Die zweite verursachte ein Gefühl von Benommenheit und Wärme. Sie bedauerte nichts. Alles, was sie brauchte, war ein neuer Job mit Krankenversicherung, bevor sie Lungenkrebs bekam.
Eine Orangenschale schwamm in den Stromschnellen des Rinnsteins vorbei.
Susan rief Derek an.
»Ja, hallo«, sagte er.
Sie war nicht in der Stimmung für Small Talk. »Hast du Leo Reynolds angerufen und ihm erzählt, dass ich gefeuert wurde?«
Derek fuhr in seinem Auto. Susan hörte NPR im Hintergrund. Er machte leiser, und die Stimme des Moderators wurde zu einem Murmeln. Aber er beantwortete ihre Frage nicht. Es war nicht nötig.
»Ich bringe dich um«, sagte Susan.
»Ian ist ein Idiot«, protestierte Derek. »Du hast es nicht verdient, rauszufliegen. Du machst gute Arbeit. Wenn du dazu kommst.«
Wenn sie dazu kam? »Was willst du damit sagen?«
»Nur, dass du sehr viel Zeit mit deinen Freunden von der Polizei verbringst.«
Die Zigarette bog sich Susans Hand. »Das ist Arbeit für mich. Was denkst du, wie ich an meine Storys komme?«
»Fragst du dich nie, ob du ihnen vielleicht zu nahe bist?«, sagte Derek. In seiner Stimme lag etwas, das Susan nicht gefiel – imaginäre Gänsefüßchen um »nahe«, die Andeutung von etwas Schmutzigem.
Susan mochte angedeutete Gänsefüßchen generell nicht, aber diese hier gingen ihr richtig auf die Nerven.
Sie zog wütend an ihrer Zigarette. »Ja, klar«, sagte sie. »Deshalb wollte ich den Artikel über Henry nicht schreiben. Es wäre unpassend gewesen. Ich kenne diesen Text schon.«
»Wo bist du im Augenblick?«
Susan drehte den Kopf, sodass sie vom Gebäude der Task Force wegschaute. Sie kam sich lächerlich vor. Es war ja nicht so, als könnte er sie durch das Telefon sehen. »Halt den Mund«, sagte sie. »Ich bin wütend auf dich.«
»Dann habe ich Leo Reynolds eben angerufen«, sagte Derek. »Seine Familie kennt die Overtons. Vielleicht ist dir der Overton-Reynolds-Flügel im Museum schon mal aufgefallen.« War er nicht. »Und er mag dich offenbar. Also habe ich ihn angerufen und ihm erzählt, du seist unfairerweise gefeuert worden, und falls er sich wirklich etwas aus dir mache, sei es vielleicht eine eindrucksvollere Geste, dir deinen Job wieder zu beschaffen, als dich unter Blumensträußen zu begraben.«
»Woher hast du seine Nummer?«, fragte Susan. Sie wusste zufällig, dass Leo eine Geheimnummer hatte.
»Du hast sie auf deinen Schreibtisch geschrieben«, sagte Derek.
»Oh.« Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie hatte gerade keinen Notizzettel finden können.
»Ich glaube immer noch, dass er nicht gut für dich ist«, sagte Derek. Er hielt inne. »Aber er hat jedenfalls Ian ein paar Dinge klargemacht.« Susan hörte das Lächeln in seiner Stimme. »Du hättest ihn sehen sollen, als er diesen Anruf bekam.«
Susan konnte sich ein schadenfrohes Grinsen beim Gedanken an dieses Telefongespräch nicht verkneifen.
Das Radiogeräusch hörte auf, und sie hörte Derek die Autotür öffnen. Wo immer er hinwollte, er war angekommen.
»Dann hat dich Ian also wieder eingestellt?«, fragte Derek.
»Ja.«
»Wunderbar«, sagte Derek. Er klang glücklich. Er war nicht mehr im Wagen. Sie hörte die Geräusche der Stadt durch das Telefon, Verkehrslärm, das Planschen von Schritten im Wasser.
»Und dann habe ich gekündigt«, sagte Susan.
»Susan«, antwortete Derek. Er dehnte das Wort endlos aus und verwandelte es in einen enttäuschten Seufzer.
Jetzt hörte sie eine Sirene, eine Stimme aus einem Lautsprecher, Polizeifunkgeräte, aus denen das Gewirr von hundert drängenden Gesprächen klang.
Sie empfand eine plötzliche Zuneigung zu Derek. »Von wo rufst du an?«
»Vom Waterfront Park. Ian hat mich hergeschickt, damit ich von den Arbeiten an der Sandsackfront berichte. Ich muss Schluss machen. Bald ist Abgabe.«
Wenn sie es Derek erzählte, würde er es bringen. Es wäre binnen zehn Minuten eine Schlagzeile auf der Website der Zeitung. Fragst du dich nie, ob du ihnen vielleicht zu nahe bist? Sie durfte nichts sagen. Abgesehen davon, was sollte sie sagen? Nimm dich in Acht vor einem Verrückten, der einen Oktopus schwingt?
Sie warf den Rest ihrer Zigarette in den Abfall.
»Derek?«, sagte sie.
»Ja?«, rief er. Sie sah ihn vor sich, das Telefon an einem Ohr, die Hand an das andere gedrückt, mit seinem albernen Sakko und der Krawatte und einem Ausweis des Herald an einem Band um den Hals. Er würde
Weitere Kostenlose Bücher