Totenflut
an!«
Petri staute Schröders Vene und stach den Butterfly hinein. Er traf immer die Vene. Schröder hatte schon viele Ãrzte erlebt, die nicht die geringste Ahnung davon hatten, wie man eine Infusion legte oder Blut abnahm. Bei Petri ging es schnell, sicher und schmerzlos. Er war wirklich ein guter Arzt in allen Belangen. Nur redete er zu viel.
»Das wird jetzt ein Stunde durchlaufen. Versuch dich zu entspannen. Nachher kann Tina dir ein Taxi rufen, aber wie ich dich kenne, fährst du mit deinem eigenen Wagen. Ich muss jetzt weitermachen. Wir telefonieren heute Abend!«
Schon war er drauÃen. Schröder hatte nichts gesagt. Ob das sein Einverständnis signalisierte, war ihm egal. Er hatte einfach nur keine Kraft für ein Wortgefecht gehabt. Er war dankbar, dass Petri keinen Aufstand gemacht und ihn gleich an den Tropf gehängt hatte. Es dauerte zwar, bis die Wirkung einsetzte, aber es tat unendlich gut. Als die geschäftigen Geräusche von drauÃen immer dumpfer und entfernter klangen und Schröder tatsächlich einschlief, fühlte er sich irgendwie gerettet.
Das Entfernen der Nadel weckte Schröder wieder auf. Tina legte ihm einen kleinen Tupfer auf die Einstichstelle und winkelte seinen Arm an.
»So halten, bitte!«, sagte sie wie immer, nahm den Infusionsbeutel vom Haken und warf ihn in den Mülleimer. Dann zückte sie den Einweisungsschein aus ihrer Kitteltasche und platzierte ihn auf Schröder Brust.
»Und der ist für Sie! Lassen Sie sich endlich mal helfen!«
»Fangen Sie nicht auch noch damit an!«
»Tut mir leid wegen vorhin, aber meine Kollegin ist erst zwei Tage hier.«
»Ist Veronika im Urlaub?«, fragte Schröder und versuchte, sich aufzusetzen.
»Nein, sie hat gekündigt!«
»Gekündigt? Warum das?«
»Fragen Sie doch Ihren Freund â¦Â«, sagte Tina und verlieà gleich darauf den Raum. Schröder hatte sie noch nie so über Petri reden hören.
Teil 2
Wellen
Kapitel 11
Es war früh am Morgen. Feiner Regen schwebte wie Staub in der Luft, legte sich auf die Blätter, sammelte sich dort und fiel hier und da in dicken Tropfen von den Bäumen. Der Wald roch frisch und kräftig. Unter den Baumkronen war es noch sehr dunkel, weil sich die Wolkendecke an keiner Stelle öffnen wollte. Die Sonne hatte nicht genug Kraft, um durchzudringen, und dadurch schien der gesamte Wald noch zu schlafen. Nur ab und zu hörte man einen Vogel zwitschern, aber nie sehr lang. Es war ungewöhnlich still an diesem Morgen. Umso deutlicher waren die Schritte des Hirsches zu hören, der aus dem Unterholz heraus eine Lichtung betrat. Immer wieder blickte er wachsam auf und horchte in alle Richtungen. Da fiel der Schuss. Ein ohrenbetäubendes Krachen zerriss die Luft, und das Echo schien kilometerweit durch den Wald widerzuhallen. Die Hinterläufe des Hirsches brachen ein. Er röchelte und kämpfte noch einige Augenblicke darum, nicht niederzugehen, weil er wusste, dass das seinen Tod bedeuten würde. Doch die Kräfte verlieÃen seinen Körper, und er fiel auf den aufgeweichten Boden. Seine Beine zuckten. Mit weit geöffneten Augen tat er seine letzten Atemzüge. Dann starb er.
Am östlichen Rand der Lichtung lagen Grabowski und Schmidt hinter der Wurzel eines umgefallenen Baumes auf der Lauer. Aus dem Lauf von Grabowskis Gewehr stieg eine feine Rauchfahne empor. Gehorsam, aber ungeduldig saÃen ihre beiden Weimaraner neben ihnen. Sie jaulten und stierten mit ihren leuchtenden, bernsteinfarbenen Augen auf das getötete Tier.
Schmidt und Grabowski waren alte Freunde, die sich während des Studiums kennengelernt und schnell ihre Vorliebe für das Fischen und Jagen geteilt hatten. Zwischen ihnen gab es immer so etwas wie einen Wettstreit, auch wenn sie es nie zugegeben hätten. Wer fing den gröÃeren Fisch, wer schoss den kapitalsten Zwölfender, wer konnte die Spuren am besten lesen? Alleine ging keiner von beiden auf die Jagd. Wenn der andere im Urlaub oder krank war, wartete man eben, bis er wieder zurück oder genesen war. Sie mussten die Jagd zusammen erlebt haben und hinterher darüber erzählen, streiten und fachsimpeln.
»Guter Schuss! Für dein Alter«, sagte Schmidt. Grabowski lächelte, weil er so etwas erwartet hatte. Schmidt zog ihn immer mit seinem Alter auf, obwohl der mit 53 nur zwei Jahre jünger war als Grabowski. Sie gaben ihren Hunden das
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