Totenflut
wie sie sich von Schröder verabschieden sollte. Irgendwie war er ihr doch ans Herz gewachsen.
»Tja, da sind wir!«, sagte sie. Der Regen pladderte müde auf die Ãberdachung des Bahnsteigs. An einigen rissigen Stellen hatten sich bereits gröÃere braungeränderte Wasserflecken gebildet, von denen jetzt schwere Tropfen herabfielen.
»Sie fahren nach Hause. Warum so betrübt?«, fragte Schröder.
Elin blickte verloren auf die glänzenden Gleise.
»Zu Hause! Das ist auch nur ein Raum mit ein paar Möbeln drin. Morgen gehtâs gleich weiter nach Freiburg zum nächsten Fall.«
»Sie sind ein Wanderpokal«, lächelte Schröder.
»Ja, das bin ich wohl.«
Der Zug fuhr ein, ohne dass einer von ihnen die Durchsage gehört hätte. Ein Windstoà erfasste sie, als die Lok sie passierte, und Elins Haarsträhnen tanzten auf ihrer Stirn. Die Bremsen kreischten ohrenbetäubend. Elin nahm ihren Koffer. Sie war sich sicher, dass Schröder ihr nicht die Hand geben wollte, also reichte sie sie ihm erst gar nicht.
»Machen Sieâs gut! Und ziehen Sie Ihre Bleiweste an!«
»Alles Gute! Wir waren kein schlechtes Team!«
»Find ich auch!«
Hinter der spiegelnden Scheibe sah Schröder Elin einen Platz suchen. Seine Augen veränderten scheinbar selbstständig den Fokus und stellten Schröders Spiegelbild scharf. Er sah sich allein auf dem Bahnsteig stehen. Ein Tropfen tippte auf seine Schulter wie ein Finger, der ihn daran erinnerte, jetzt besser zu gehen. Elin sollte nicht sehen, wie er sich fühlte. Dieses dumme Ding. Vorlaut und taktlos war sie. Viel zu jung für diesen Job. Aber ehrgeizig genug. Und eine freche Göre.
Er vermisste sie jetzt schon.
Mit Elin verlieÃen auch die Medien die Stadt. Jetzt, wo alles vorbei war, war Osnabrück wieder das, was es immer gewesen war und auch immer bleiben würde. Eine Provinzstadt mitten im ländlichen Niemandsland. Ein schönes Niemandsland.
Alles flüchtete aus den Hotels, füllte die StraÃen, Autobahnen und Luftwege. Osnabrück lief aus, wie eine volle Badewanne. Es gurgelte laut im Abfluss, und dann kehrte Ruhe ein. Osnabrück entspannte sich wieder.
Kapitel 27
»Soll ich mich jetzt ausziehen?«, fragte Schröder. Er stand unsicher vor Frau Weber, die ihn schmunzelnd begutachtete.
»Wenn Sie sich dann besser fühlen?«
»Nein, ich weià nicht â¦Â«
»Sie waren noch nie bei der Osteopathie?«
»Ich weià eigentlich gar nicht, was das ist. Eine Freundin hat mir geraten, Sie aufzusuchen.«
»Ich fändâs klasse, wenn wir erst mal ein bisschen reden würden.«
Frau Weber ging hinter ihren Schreibtisch, und Schröder nahm auf einem Stuhl Platz.
»Es geht um meinen Rücken! Ich habe starke Probleme mit dem Rücken, schon seit Jahren. Jetzt war ich erst beim Kernspin, und die haben gesagt, dass ich einen Bandscheibenvorfall habe, der irgendwelche Nerven abklemmt.«
»Woher haben Sie den Bandscheibenvorfall?«
Schröder stutzte.
»Was weià ich?«
»Sie hatten also keinen Unfall, auf den die Verletzung zurückzuführen wäre?«
»Nein!«
»Ich möchte eine Akte anlegen. Schildern Sie mir doch mal alle ihre Verletzungen! Am besten in chronologischer Reihenfolge.«
»Auch die als Kind?«
»Alles ist wichtig!«
»Ja, also mit vier, glaub ich, hab ich mir den linken Arm gebrochen. Die Speiche, das weià ich noch. Dann später als Jugendlicher mit vierzehn, fünfzehn hatte ich mal einen Bänderriss im Knie, Innenband. Und beim Schlittenfahren hab ich mir mal den kleinen Finger gebrochen, da war ich acht oder so. In der Ausbildung bei der Polizei hab ich mir einen Bänderriss im Sprunggelenk zugezogen. Mit fünfunddreiÃig ein Schuss in die Schulter. Seitdem nichts, bis auf den Rücken halt.«
»Knie und Sprunggelenk waren auf welcher Seite?«
»Beide rechts.«
»Und die Schussverletzung?«
»Links.«
»Na, das ist doch schon mal was! Und was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Polizist.«
»Darf ich fragen, wie alt Sie sind?«
»Neunundvierzig.«
»Okay, dann können Sie sich hinlegen. Auf den Rücken, bitte.«
Schröder legte sich unter Schmerzen auf die Liege und versuchte, eine halbwegs bequeme Position einzunehmen. Frau Weber kontrollierte die Länge seiner Beine. Dann winkelte sie das rechte Bein an
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