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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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Cadillac. Langsam und elegant. Eine alte Dame im weißen Kleid, die behutsam mit ihren Passagieren umgeht. Weiß, nicht schwarz. Leben, nicht Sterben. Särge hinter getönten Scheiben, der Tod und das Leben. Blum wollte anders sein, sich unterscheiden von den Mitbewerbern. Ein weißes Auto war Provokation pur. Das passte in den Augen ihrer Kollegen nicht zum Tod. Trauer war schwarz, immer schon.
    Blum und Mark hatten Urlaub gemacht mit diesem Wagen. In den ersten beiden Jahren, als die Kinder noch nicht da waren. Sie waren in Sardinien am Strand, schliefen auf der Ladefläche. Die hübschen Vorhänge hatte Blum selbst genäht. Sie waren glücklich in dem weißen Leichenwagen, sie hatten sich geliebt, einander in den Armen gehalten und dem Meer zugehört. Der Kofferraumdeckel stand offen, sie hat geraucht. So wie jetzt. Musik und in der Hand eine Zigarette. Weil Tote sowieso nichts mehr riechen. Weil Mark ihr wieder nahe ist, weil sie ihn spüren kann, weil sie will, dass er bei ihr ist, wenn sie ihn trifft. Schönborn. Blum zieht an der Zigarette und macht die Augen zu. An der roten Ampel sieht sie ihn, Mark, wie er lacht, wie er ihr die Zigarette aus der Hand nimmt und sie hinaus in den Sand wirft. Wie er sie küsst. Wie warm es ist an seiner Haut. Blum hört das Hupen, sie will ihre Augen nicht aufmachen. Sie will nicht, doch sie muss. Die Ampel ist wieder grün, in fünf Minuten wird sie Schönborn treffen. Sie hat keine Angst. Sie zieht an ihrer Zigarette, sie fährt einfach weiter.
    Dunja hat geschwiegen. Nichts gesagt. Nur genickt. Blum musste gar nicht weiterfragen, ihr das Gespräch gar nicht bis zum Ende vorspielen. Dunja wich zurück, als die Stimme aus dem kleinen Lautsprecher kam. Edwin Schönborn hat ihr Angst gemacht, seine Worte, der Klang seiner Stimme. Dunja ist klein geworden, alles in ihr hat sich zusammengezogen. Ja, das ist der Mann, der mich wieder und wieder vergewaltigt hat. Nein, es gibt keinen Zweifel, ich bin mir sicher. Ja, er ist es, ich würde seine Stimme unter tausenden wiedererkennen. Seine Stimme und das Klicken der Kamera. Ja. Er hat mir wehgetan. Oft, immer wieder, diese Stimme war es, ein Unmensch war er. Ohne Namen. Dunja bewegte nur ihren Kopf. Kein Wort, nur der gesenkte Blick, sie hatte Angst, bestraft zu werden, eine Faust in ihrem Gesicht zu spüren. Ja, er hat mich geschlagen. Ja, immer wieder. Überallhin, überall, wo es wehtut. Seine Fäuste, seine Schuhe, mit seinem Kopf gegen meinen. Weil er härter war. Dunja nickte und weinte. Wortlos, zitternd, gestern. Blum umarmte sie im Kinderzimmer, sie war in Aufruhr, es war so einfach gewesen, ihn zu finden. Der Sohn des Hotelbesitzers, Blum hatte ins Schwarze getroffen, sie hatte ihn getäuscht, herausgefordert. Sie hatte etwas begonnen, das sie jetzt zu Ende bringen wird.
    Blum wirft die Zigarette aus dem Fenster. In drei Minuten ist sie bei ihm. Ohne Plan, allein. Sie hat keine andere Wahl. Als sie ihm gegenübersaß, war es ihr spontan in den Sinn gekommen, ihn abzuholen, mit ihm irgendwohin zu fahren, ihn zu betäuben, ihn mit nach Hause zu nehmen, den Feind außer Gefecht zu setzen, irgendwie. Völlig verrückt, wahnsinnig, ohne die geringste Ahnung, auf was sie sich da eingelassen hat. Blum wird ihn befragen, alles aus ihm herausquetschen, die Namen der anderen, alles, ein Geständnis, Beweise, eine Tonbandaufzeichnung. Er weiß, wer die anderen sind. Er weiß, ob Mark überfahren wurde, und wenn ja, von wem. Edwin Schönborn. Seit gestern sieht sie ihn ununterbrochen vor sich, sie hört ihn. Wie er geile Sau sagt. Blum hat ihn dazu gebracht zu zeigen, wer er ist, sie hat ihm die Maske heruntergerissen, vom zuvorkommenden Gastgeber zum sabbernden Dreckschwein. Grausam, menschenverachtend. In zwei Minuten ist sie bei ihm, vor dem Landestheater wird er auf sie warten. Er wird da sein, sie weiß es, das wird er sich nicht entgehen lassen. Diese Porträts. Blum.
    Den ganzen Nachmittag und den Abend hat sie überlegt. Wie sie vorgehen soll, wie sie ihn dazu bringen kann, ihr zu sagen, was er weiß. Wie schafft sie es, ihn bewusstlos zu machen, ohne dass er sie vorher überwältigt? Sie muss schnell sein, es tun, solange er ihr vertraut, solange er nur an seine Geilheit denkt. Sie muss ihn in den Versorgungsraum bringen, niemand wird sie dort stören, Reza ist unterwegs, er kommt erst morgen wieder. Karl und die Kinder betreten den Raum nicht, sie wird ganz allein mit ihm sein. Sie wird mit ihm reden, wenn er wieder

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