Totenfrau
Dass es noch viel schlimmer werden würde, als sie es sich ausgemalt hat. Viel schlimmer.
20
– Schön, dass du gekommen bist.
– Die Kinder?
– Schlafen. Komm rein.
– Was ist mit dir, Blum?
– Es geht mir nicht gut.
– Was ist los mit dir?
– Ich möchte heute Nacht nicht allein sein.
– Ich bin da. Und du weißt, dass es nichts gibt, was ich nicht für dich tun würde.
– Danke.
– Kann ich dir irgendwie helfen, Blum?
– Ich weiß es nicht.
– Du zitterst.
– Ja.
– Sag mir bitte, wie ich dir helfen kann.
– Du bist da. Das hilft.
– Bitte, Blum. Du hast mich angerufen. Ich bin hier, was auch immer es ist, wir bekommen das hin.
– Kannst du mich festhalten?
– Jetzt?
– Leg dich mit mir auf die Couch und halt mich einfach fest.
– Ja.
– Das ist das Einzige, das hilft.
– So?
– Ja.
– Es wird besser, du wirst sehen.
– Wird es das?
– Ja.
– Das hat er auch immer gesagt.
– Mark?
– Ja.
– Ich bin jetzt für dich da.
– Danke, Massimo.
– Alles wird gut.
– Sag das nicht. Halt mich einfach nur fest.
– Ja.
– Und Massimo?
– Was noch?
– Könntest du mit mir schlafen?
– Wie meinst du das?
– Könntest du?
– Ja.
Massimo geht ihr nach. Blum führt ihn an der Hand durch die Wohnung. Am Schlafzimmer vorbei in Marks Arbeitszimmer. Massimo schweigt, er folgt ihr einfach, tut, was sie von ihm will. Er schaut sie an. Wie sie sich auszieht. Wie sie nackt vor ihm steht. Blum will etwas spüren, etwas Gutes, sie will sich ablenken, nicht mehr an Schönborn denken. Sie legt sich auf Marks Sofa und sagt Massimo, dass auch er sich ausziehen soll. Er zögert, fast ist es so, als würde er zweifeln, als wäre er nicht sicher, ob Blum sich einen Spaß mit ihm erlaubt. Massimo und Blum. Sie zieht ihn zu sich, er legt sich neben sie. Er ist still, er ist vorsichtig, liebevoll. Blum nimmt seine Hand und legt sie auf ihre Brust, sie sprechen nicht, Blums Augen sind geschlossen. Sie will, dass er sie glücklich macht. Jetzt. Schnell, sie will es spüren, sie will beben, das Leben aufsaugen, ihn, egal was. Nur nicht mehr an Schönborn denken. Seinen Mund nehmen, seine Haut, seine Hände, alles. Wie er sich auf sie legt, sie küsst. Wie sie es zulässt. Wie Schönborn für kurze Zeit verschwindet, sein Gesicht, alles, was er getan hat. Was sie getan hat. Blum umarmt ihn, Massimo, sie hält ihn ganz fest, drückt ihn an sich. Der beste Freund ihres Mannes, Blum will, dass er bleibt, dass er sie wärmt, sie berührt, überall, sie will, dass er sie beschützt, ihr hilft. Ohne ein Wort. Leise nach Mitternacht. Blum will nicht, dass die Kinder aufwachen. Dunja. Niemand soll es mitbekommen. Dass er neben ihr liegt. Dass er sie im Arm hält.
Lange sagen sie nichts. Blum will ihre Augen geschlossen halten, sie nicht aufmachen, nicht sehen, was sie getan hat. Dass er eingedrungen ist in sie, dass ihre Zunge in seinem Mund verschwunden ist. Sie will es nicht sehen, seine Haut, sie nicht riechen, nicht mit ihm reden. Sie kann es nicht. So sehr sie es sich auch vorgenommen hat, sie wird es nicht tun, ihm nicht erzählen, was passiert ist. Sie wüsste nicht, wie sie ihm das alles erklären soll, und sie weiß nicht, ob er ihr überhaupt helfen kann. Ihm sind die Hände gebunden, er muss sich an die Regeln halten, er kann nichts für sie tun. Der Fotograf Edwin Schönborn liegt in meinem Keller, Massimo. Könntest du mir da bitte wieder raushelfen? Ich hab ihn betäubt und entführt, er liegt unten im Versorgungsraum. Komm schon, Massimo, drück einfach ein Auge zu und bring die Sache wieder in Ordnung. Ich habe mich da in etwas verrannt. Es kann sein, dass ich überreagiert habe, das hätte vielleicht alles nicht sein müssen, aber es ist nun mal passiert. Und deshalb musst du mir helfen. Du weißt ja, ich habe Kinder, ich kann jetzt nicht ins Gefängnis. Also, mein Lieber, kümmere dich bitte um die Sache. Danke, ganz lieb von dir . Nein. Alles ist anders. Sie wird Massimo jetzt zur Tür bringen. Er wird sich anziehen und nach Hause fahren, dann wird sie nach unten zu Schönborn gehen. Sie ist auf sich alleine gestellt, sie wird eine Lösung für ihr Problem finden, irgendetwas wird ihr einfallen, sie wird das Schiff wieder auf Kurs bringen. Sofort. Keine Zeit mehr verlieren. Egal wie gut seine Haut tut, egal ob sie sich dafür hasst. Blum küsst ihn und springt auf. Du musst jetzt gehen , sagt sie. Darf ich wiederkommen , fragt er.
21
Drei Stunden vorher. Blum
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