Totenfrau
Spaß hatten.
– Wie bitte?
– Ilena, Dunja und Youn.
– Keine Ahnung, wovon Sie reden, aber machen Sie ruhig weiter. Ich bin gerne jederzeit für meine Wähler da. Vor allem, wenn sie so hübsch sind wie Sie.
– Sind Sie ein Vergewaltiger?
– Wie bitte?
– Sind Sie einer der fünf Männer?
– Sind Sie betrunken? Was reden Sie da. Sie sollten jetzt besser gehen.
– Entführung, Freiheitsberaubung, Misshandlung, Vergewaltigung. Und Mord.
– Es reicht.
– Vater und Sohn. Vielleicht hatten Sie ja gemeinsam Ihren Spaß?
– Was ist mit meinem Sohn? Was soll das alles hier?
Blum dreht sich um und geht. Kein Wort mehr. Kein Blick. Sie geht einfach. Alles im Ohr, was er gesagt hat. Alles, was er nicht gesagt hat. Er wusste nicht, wovon sie sprach, er hatte die Namen noch nie gehört. Ilena, Dunja, Youn. Er war erstaunt. Er hat in seinem Kopf danach gesucht, aber nichts gefunden. Er kennt sie nicht, er hat keine Ahnung, sein Erstaunen war echt. Genauso wie seine Lügen, was das Bordell betrifft. Mit welcher Selbstsicherheit er die Wirklichkeit verbiegt, das Geschehene löscht. Nur Massagen. Massagen für den Pfarrer. Lächerlich.
Dass er den Pfarrer erwähnt hat, ist wie ein Geschenk. Ein Paket, das ihr jemand in die Hand gedrückt hat, das sie einfach aufreißen darf. Die Schleife entfernen, das Papier zerknüllen. Ein Geschenk, das ihr Johannes Schönborn gemacht hat, ohne zu wissen, was er damit auslöst. Eine Lawine. Blum stellt sich den geilen Pfaffen vor, wie er Dunja für ihre Sünden bestraft. Ein Mann Gottes im Bordell, ein Mann Gottes in einem Keller irgendwo in der Hölle. Der Sohn des Hauses ist Fotograf. Ein Priester als Stammfreier. Blum kennt ihn. Sie hat ihn bei Beerdigungen erlebt, sie kennt sein Gesicht, sie weiß, wie er spricht, wie er sich bewegt. Sie sieht ihn vor sich.
Herbert Jaunig. Wie er gütig schaut und die Trauerreden hält. Wie er die Hände der Hinterbliebenen schüttelt. Wie er Youn vergewaltigt. Wie er die Mädchen aus den Käfigen gezerrt und ausgepeitscht hat. Alles, was Blum gehört hat, ist wieder da. Jedes Wort Dunjas, jede Kleinigkeit, alles. Dass er sie bestraft hat für ihre Sünden, immer wieder sein Gürtel auf ihrem Rücken. Die Schnalle, die sich in die Haut gräbt, Schreie im Keller. Wie er die Bibel zitiert, während er den Jungen am Tisch festbindet. Wie er ihn bei den Haaren packt und zustößt, wie er seinen Kopf nach oben reißt und in dem Jungen wühlt, der heilige Schwanz des Pfarrers, der den Knaben von seinen Sünden befreit. Immer wieder, über Jahre. Der Erlöser, der die drei verlorenen Seelen auf den rechten Weg bringt, der zukünftige Bischof, der sich liebevoll um seine Schäfchen kümmert. Schlag für Schlag. Stoß für Stoß. Strafe für die Unzucht, die seine Opfer treiben, seine Faust in den Rücken des Jungen. So, dass er kaum noch Luft bekommt. Dunja sitzt in ihrem Käfig und schaut zu. Kann nicht helfen.
Blum geht aus dem Restaurant, sie zweifelt keine Sekunde daran. Dass es dieses Bordell im Annenhof gegeben hat, dass der Pfarrer nicht nur wegen den Massagen dort war. Dass er etwas mit Edwin Schönborn zu tun hat, dass er gemeinsam mit ihm und drei anderen das Unfassbare getan hat. Kein Zweifel. Kein Blick zurück. Kein Mitleid. Nur das Gesicht des Pfarrers vor ihren Augen, nur die Fotos, die Edwin Schönborn gemacht hat. Immer wieder diese Gesichter. Blum hat sie sich angesehen, die ganze Nacht lang hat sie in diesen Gesichtern gelesen. Die Fotos, die sie in Schönborns Atelier gefunden hat. In einer Lade, unversperrt, schön sortiert und gestapelt. Fotografien. Blum hat nicht aufgehört sie anzusehen, diese Augen, die aufgerissenen Münder, das Entsetzen, die Leere. Alles hat sie gesehen, alles, was passiert ist. Alles, was Herbert Jaunig getan hat. Alles, wofür er sich jetzt verantworten muss. Der gute Priester, einer der beliebtesten im Land. Blum wird ihn dazu bringen, zu reden.
27
Massimo. Er will sie wieder berühren, ihre Haut, sich an sie schmiegen. Leise sagt er es. Er sitzt neben ihr am Esstisch, die Kinder spielen am Boden. Abendessen. Massimo. Er ist einfach vorbeigekommen, er will für sie da sein. Seine Hilfsbereitschaft, seine Fürsorge, seine warme Hand, die sie berührt. Ich brauche Zeit. Bitte. Ich weiß nicht, ob das klug war, ich war allein. Ich bin dir dankbar, Massimo. Bitte lass uns nichts überstürzen. Ich muss nachdenken, Massimo. Du bist wundervoll. Trotzdem war es falsch. Wegen Mark. Du weißt es.
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