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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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kam er in seinem grauen Trainingsanzug auf den Domplatz und lief los. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit aus der Altstadt hinaus. Über die Innbrücke, die Höttingergasse nach oben zum Wald hinauf.
    Blum wartet. Sie sitzt in dem kleinen Polo und wartet auf Jaunig. Immer wieder schaut sie in den Rückspiegel, ihr Gesicht, ihre Augen. Sie schaut sich an. Im Spiegel ihre Haut, ihre Mundwinkel, ihre Lippen. Was Mark immer zu ihr gesagt hat. Dass ihr Mund unglücklich ist. Immer, wenn sie traurig war, müde, wenn sie nicht mehr fähig war, es zu spüren. Das Gute, das mit Mark gekommen war. Das Gute, das alles, was vorher gewesen war, verdrängt hatte. Es ist wieder weg, sagt ihr Gesicht im Spiegel. Es ist kalt und leer unter ihrer Haut.
    Blum. Sie glaubt fest daran, dass er kommen wird. Sie weiß, dass er kommen wird. Sie hat alles geplant. Sie brauchte zwei Tage für sich, hat sie gesagt. Zwei Tage am Meer. Bitte, Karl, kümmere dich um alles. Ich bin dir so dankbar, Karl. Sie hat den Kindern versprochen, dass sie ihnen etwas mitbringt, Muscheln und Sand. Sie hat Karl umarmt. Dann hat sie in der Küche ein Glas Wein getrunken. Die Kinder haben mit Knetmasse gespielt, und sie hat den nächsten Schritt beschlossen. Alles, was gleich passieren wird, wenn Herbert Jaunig am Ende des Weges auftaucht. Mit aller Gewalt erinnert sie sich. An alles, was jetzt nicht mehr da ist, an alles Schöne, an Mark. An alles, das ihr hilft zu rechtfertigen, was gleich passieren wird.
    Der Mann Gottes. Wie er auf sie zurennt. Blum im Auto. Bereit, den Zündschlüssel umzudrehen. Er kann sie sehen. Das kleine Auto am Wegrand. Er denkt sich nichts dabei, er läuft einfach weiter. Bis er bei ihr ist, bis sie den Schlüssel umdreht und Gas gibt. Zwanzig Sekunden noch. Sie muss es tun. Jetzt sofort.
    Herbert Jaunig. Wie sein Körper gegen den Wagen schlägt. Wie der zukünftige Bischof zu Boden geht. Nur kurz ist da sein entsetztes Gesicht, keine Sekunde lang zögert sie, sie fährt ihn um, sie bricht seine Knochen, er verschwindet unter dem Wagen. Blum bremst und setzt zurück. Ohne Mitleid. Es muss schnell gehen, sie muss ihn in den Wagen zerren, ihn in den Kofferraum zwängen, seine Beine, die Arme, den Rumpf. Bevor jemand kommt, schnell. Sie springt aus dem Wagen, mit aller Kraft schiebt sie, zerrt sie, hebt den Priester in den kleinen Kofferraum. Es ist nur ein Stück Fleisch, Knochen. Sie verbiegt ihn, sie nimmt keine Rücksicht, ob er Schmerzen hat. Mit Klebeband schnürt sie ihn zusammen, sie knebelt ihn, fesselt ihn. Ein Unfall, denkt sie. Nur ein bedauerlicher Unfall, sonst nichts. Außer Atem schließt sie den Kofferraumdeckel, sie steigt wieder in den Wagen und fährt los. In sechs Stunden wird sie in Triest sein. In sechs Stunden wird sie mit ihm reden. Falls er dann noch lebt.
    Über die Autobahn. Keine Verkehrskontrolle. Sie bemüht sich, auf der Straße nicht aufzufallen, sie hat vollgetankt, sie bleibt nicht stehen. Kein Mitleid für den Priester. Sie hört sein Stöhnen nicht, die Geräusche, die aus dem Kofferraum kommen. Das Motorengeräusch ist lauter, die Straße, italienische Landschaft. Vertraut alles, jede Raststätte, an der sie vorbeifährt, die Schilder der Ausfahrten. Blum und Jaunig auf dem Weg ans Meer. Viel Zeit zum Nachdenken, viel Zeit, um sich an die Situation zu gewöhnen, daran, dass sie Menschen entführt. Daran, dass sie getötet hat. Dass sie es vielleicht wieder tun wird. Sie erinnert sich an diese Serie.
    Dexter. Mark hat sie geliebt. Nächtelang saß er in seinem Arbeitszimmer und schaute zu, wie ein Forensiker in seiner Freizeit Selbstjustiz übt. Wie er die Bösen aus dem Verkehr zieht. Wie er die Welt vom Abschaum befreit. Dexter Morgan, sieben Staffeln Wahnsinn, Mark ließ keine Folge aus, er war begeistert, immer wieder hat er Blum dazu überreden wollen, mit ihm in die Welt des Serienmörders einzutauchen, immer wieder hat Blum ihn ausgelacht. Sie konnte nicht verstehen, wie Mark daran glauben konnte, dass die Wirklichkeit im Entferntesten so sein konnte wie in der Serie. Unfug, sagte sie und legte sich neben ihn auf die Couch. An den Haaren herbeigezogen alles, ein Polizist, der sich um die Bösen kümmert. Um jene, die durch das Netz gefallen sind. Ein Polizist, der für Gerechtigkeit sorgt, weil es sonst keiner tut. Ein Rachemärchen, unrealistisch, Zeitverschwendung. Trotzdem blieb Blum bei ihm liegen und schaute zu, wie der Mann auf dem Bildschirm seine Opfer mit Frischhaltefolie auf dem Tisch

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