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Totenfrau

Totenfrau

Titel: Totenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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das, was sie ihm schon so oft erzählt hatte. Blum hatte lange daran geglaubt, dass er ihr helfen könnte. Sie war überzeugt davon gewesen. Weil Jesus ein guter Mensch war, weil Blum so dumm gewesen war, daran zu glauben. Vor dreißig Jahren. Die kleine Blum, die nach Liebe schrie. Jetzt in der Kirche ganz hinten. Erwachsen schaut sie zum Altar hin, ohne Rührung sieht sie, wie Herbert Jaunig den Segen spricht, wie er seine Arme ausbreitet und das Blaue vom Himmel verspricht. Heuchler, Schauspieler, kein Mann Gottes. Nicht Jesus, nur ein Mann Mitte fünfzig. Kein Lamm, ein Wolf.

28

– Blum?
    – Was?
    – Wie lange noch?
    – Kurz noch. Du darfst jetzt nicht ungeduldig werden, ich habe noch jemanden gehört. Wir müssen warten, bis alle Mitarbeiter weg sind.
    – Habe ich dir schon gesagt, dass du verrückt bist?
    – Ja, das hast du. Das nützt dir aber nichts, wir müssen da jetzt durch.
    – Dass ich ein Polizist bin, weißt du aber.
    – Mach dir nicht ins Hemd, mein Guter.
    – Wir könnten doch schon mal den Champagner aufmachen.
    – Wir sitzen in einem Schrank, Mark.
    – Und? In einem Schrank darf man keinen Champagner trinken, oder wie?
    – Wir wollten in der Matratzenabteilung feiern.
    – Du wolltest das.
    – Weil du kein Wasserbett willst. Was bleibt mir da anderes übrig.
    – Stimmt. Ich bin gegen ein Wasserbett, und wir übernachten deshalb heimlich im Einrichtungshaus.
    – Genau.
    – Wenn sie uns erwischen, könnte das für mich sehr unangenehm werden.
    – Du sollst dir nicht ins Hemd machen, Mark.
    – Ich will jetzt mit dir anstoßen.
    – Wir müssen noch warten.
    – Dann will ich dich küssen.
    – Nicht jetzt.
    – Wann dann?
    – Wir müssen leise sein.
    – Ich will aber jetzt. Wenn du mich nicht küsst, schreie ich, dann kannst du das mit deinem Wasserbett vergessen.
    – Das würdest du niemals tun.
    – Doch, das würde ich.
    – Du willst es unbedingt?
    – Ja.
    – Dann komm mit.
    Blum machte die Schranktür auf und rannte los. Auf Zehenspitzen durch das Möbelhaus, Mark an ihrer Hand die Treppen nach oben. Matratzenstudio, Wasserbett. Wie sie versanken, wie sie kicherten und sich umarmten. Wie sie sich küssten. Mark und Blum an ihrem Hochzeitstag vor vier Jahren. Das Glück in der verbotenen Zone, dieses Kribbeln, das sie immer noch spürt, wenn sie daran denkt. Sie sieht es vor sich, das Gesicht des Wachmanns, das plötzlich da war. Die Taschenlampe, die anging, der Lichtstrahl, unter dem sie lagen. Arm in Arm, zwei Liebende, seelenruhig auf einem Wasserbett. Anstatt aufzuspringen, blieben sie einfach liegen, sie schauten nur nach oben, der Uniform entlang in das Gesicht des Wachmanns. Keiner sagte etwas, auch er rührte sich nicht. Da war nur ein Lächeln auf Marks und Blums Lippen. Kein Widerstand, sie ergaben sich, sie machten keine Anstalten davonzulaufen, sie blieben in ihrer Umarmung und warteten darauf, wie er reagieren würde. Der Wachmann, die dunkle Gestalt mit der Taschenlampe, der Hüter des Gesetzes. Sie rechneten mit dem Schlimmsten, doch es kam anders. Anstatt sie zu bestrafen, ihnen zu drohen und seine Macht auszuspielen, grinste der Wachmann und wies höflich darauf hin, dass das Einrichtungshaus bereits geschlossen habe. Dann begleitete er sie zum Ausgang. Einfach so.
    Mark und Blum vor vier Jahren auf dem Parkplatz vor dem Einrichtungshaus. Sie konnten kaum glauben, was gerade passiert war. Dass sie erwischt worden waren, dass es keine Konsequenzen gab. Nur das Lachen, das über den Parkplatz schallte. Und Mark, wie er den Champagner aufriss, wie Blum aus der Flasche trank, wie sie sich ins Auto setzten, weil es zu schneien begonnen hatte. Vor vier Jahren in dem kleinen Polo, in dem Blum jetzt auf Jaunig wartet. Vor vier Jahren Champagner in zwei Mündern, Hände, die sich hielten. Und Gelächter, das nicht verstummte. Bis die Flasche leer war. Sie saßen im Auto und schauten dem Schnee zu. Wie die Flocken fielen. Lange, bis die Windschutzscheibe weiß war, bis sie allein waren. Unter einer Schneedecke geborgen. Mark und Blum.
    Jetzt ist Blum allein. Da ist kein Schnee auf der Windschutzscheibe. Der Sitz neben ihr ist leer. Es ist Sommer, was war, ist nur noch eine schöne Erinnerung, die wehtut. Während Blum wartet. Auf Jaunig. Bis er den Hang heraufkommt. Sie weiß, dass er bald hier entlanglaufen wird, es wird nicht mehr lange dauern. Immer zur selben Zeit, die letzten vier Tage ist es so gewesen. Sie hat vor dem Pfarrhaus auf ihn gewartet. Jeden Abend

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