Totenfrau
in seine alte Heimat bringt. Reza sagt nichts, und Blum fragt nicht. Reza. Wie er sie anlächelt, während der Pfarrer den Segen spricht, während unzählige Tränen nach unten rinnen. Ein kleines, fast unsichtbares Lächeln für Blum. Wir schaffen das. Gemeinsam. Du und ich. Wortloses Verstehen. Reza und Blum, ein eingespieltes Team. Wie viele Versorgungen sie schon gemeinsam gemacht haben, wie viele Leichen sie abgeholt haben, wie viele Beerdigungen sie hinter sich haben. Reza ist ein Geschenk. Reza lächelt sie an. Mit ihren Augen lächelt Blum zurück. Sie werden warten, bis alle Rosen nach unten gefallen sind, bis sich alle am Grab verabschiedet haben, bis der letzte Trauergast den Friedhof verlassen hat. Sie stehen da und hören die Musik, ein Blasquintett, Freunde, die Lebewohl sagen. Blum, die nach unten auf den Sarg schaut. Auf Schönborn. Wieder zu Reza. Die ganze Zeit über schaut er sie an, Blum ist Hoffnung für ihn, für sein Leben in Österreich, von dem er in den letzten Wochen geglaubt hat, dass es sich auflösen würde. Ohne Blum geht es nicht. Alleine kann er es nicht. Hier leben. Und Blum weiß das. Dass er sie braucht. Dass auch sie ihn braucht. Reza.
Er hat nichts bemerkt. Dass die Särge schwerer sind als vorher. Es ist ihm nicht aufgefallen, er hat keine Ahnung davon, was sie getan hat. Er ist der Einzige, der sie noch zu Fall bringen könnte, eine Vermutung, ein Blick in den Sarg. Doch nichts dergleichen. Seit er zurück ist, hat Blum ihn in Gespräche verwickelt, er hatte keine Zeit, sich zu wundern, er hat nichts gesagt, nichts war anders an ihm, kein Zweifeln, kein Wundern. Blums Leben bleibt so, wie es ist. Fast fühlt es sich gut an, dass Schönborn nicht mehr da ist, dass er tot ist. Blum spürt es. Sie denkt nicht an Mark, sie will auch nicht weinen, sie denkt nur an den zerteilten Rumpf und an die Arme, die da unten liegen. Sie hat ihn umgebracht. Sie hat ihm eine Überdosis gegeben, ihn niedergeschlagen, ihn in einem Kühlschrank abgelegt wie ein Stück Fleisch. Sie hat es getan. Ihn zerlegt wie ein Schwein.
Zufrieden lächelt sie Reza an. Jetzt mit ihren Lippen. Sie zieht sie sanft nach oben, ganz leicht nur. Es fühlt sich richtig an. Es fühlt sich gut an. Keine Schuld. Keine Scham. Nur dieses Lächeln in ihrem Gesicht, kaum sichtbar, trotzdem laut und ausgelassen. Blum. Das Dreckschwein ist tot , singt sie. Die Bläser spielen ein altes Volkslied, Blum ist zufrieden, sie tanzt. Was sie getan hat, war richtig, sie bereut nichts. Nur, dass er nichts mehr sagen konnte. Ihr nicht sagen konnte, wer die anderen sind. Wo sie sie zu suchen hat. Alles andere war richtig, da ist sie sich sicher. Sie würde es wieder tun. Ohne zu zögern. Sie würde es wieder tun. Für Dunja. Für Mark.
Erde fällt nach unten. Blum bleibt länger als sonst. Reza steht neben ihr, sie schauen zu, wie der Totengräber das Grab schließt. Erde auf dem Sarg, das Geräusch, das sie macht, wenn sie das Holz berührt, wenn sie zudeckt, was verborgen bleiben soll. Ein schönes Geräusch, das Sicherheit gibt. Niemand wird jemals dieses Grab wieder öffnen, niemand wird Schönborn da unten suchen. Immer noch tanzt Blum, immer noch freut sie sich, dass der Albtraum ein gutes Ende fand. Sie bleiben bis zum Schluss, bis da nur noch ein Erdhügel ist, auf dem Blumen liegen. Dann erst gehen sie, Reza und Blum, nebeneinander, ohne Worte. Nebeneinander dann in einer Bar bei einem Bier. Vertraut sitzen sie beieinander und trinken. Zwei Bier, eine halbe Stunde lang. Dann wird sie gehen, sie wird Reza umarmen und gehen. Ich muss noch etwas erledigen , wird sie sagen. Reza wird nicken. Blum wird in die Altstadt spazieren, sie wird aufsperren und hinaufgehen, die Ateliertür öffnen und von innen wieder abschließen. Sie wird alles durchsuchen, jeden Winkel, jede Festplatte, sie wird so lange suchen, bis sie die Fotos gefunden hat. Porträts von Ilena, von Dunja, von Youn. Sie wird Handschuhe tragen, sie wird alles abwischen, was sie vor zwei Tagen berührt hat, man wird keine Spur von ihr finden, wenn sie ihn als vermisst melden. Nichts wird zu ihr führen, den ersten Termin wird sie aus seinem Kalender löschen, sollte er ihn eingetragen haben. Blum wird keinen Fehler machen, ungesehen wird sie mit den Fotos verschwinden, sie wird sich in Marks Arbeitszimmer zurückziehen und sich die Bilder anschauen. Sie wird sehen, was in diesem Keller passiert ist. In ihren Gesichtern wird sie es sehen. Alles, was passiert ist. Und sie
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