Totengeld (German Edition)
an. Manchmal fliegt er hin, aber nicht zurück.«
» Wohin?«
»Houston. Oder Phoenix. Und dann weiter nach El Paso.«
» Wo übernachtet er?«
»Das ist nicht klar.«
»Geht er auch mal rüber nach Mexiko?«
»Die Grenzpolizei hat Aufzeichnungen über Flüge R ocketts nach Guatemala, Ecuador und Peru. Dew nimmt an, dass das legale Geschäftsreisen sind. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass er mit dem Auto von Te xas nach Mexiko fährt.«
Ich wollte eine Frage stellen, doch Slidell kam mir zuvor.
»Oder vonArizona, New Mexico oder Kalifornien.«
»Passen seine Besuche zuVerkaufsabrechnungen hier?«
»Genau das ist es.Tun sie nicht. Das ICE hatte die Daten mit seinen R echnungen verglichen.«
»Vielleicht macht er die R undfahrten, um legaleWare abzuholen.Vielleicht dienen die One-Way-Flüge zu was anderem.«
Das musste ich ihm nicht erklären. JederAmerikaner weiß Bescheid über die Durchlässigkeit unserer Südgrenze. Die meisten wissen etwas von Schwarzarbeitern, die durch dieWüste laufen oder durch den Rio Grande schwimmen.Wir haben alle schon mal von den sogenannten Kojoten gehört, Geschäftemachern, die aus dem Schmuggel von Illegalen über Land Profit schlagen und sie bisweilen unterwegs lieber sterben lassen, als eineVerhaftung zu riskieren.
»Ich bezweifle, dass das so einfach ist«, sagte Slidell. »Vergessen Sie nicht, R ockett wurde in Charlotte-Douglas verhaftet, weil er illegaleWare einführen wollte.«
»Fracht ist einfach. Man verpackt sie und verschickt sie. Menschen sind ein viel haarigeres Problem. Sie müssen essen, trinken, atmen.«
EinigeAugenblick dachten wir beide darüber nach.
» Wie hört sich das an? Irgendwie schafft R ockett Mädchen nach Mexiko. Aus Südamerika, Osteuropa, woher auch immer. Entweder haben sie eigene Pässe, oder er beschafft ihnen gefälschte. Vielleicht kümmert er sich auch gar nicht drum. Ob mit Papieren oder ohne, er schafft sie entweder zu Fuß oder auf Lastwagen über die Grenze und fährt sie dann nach Osten.«
»Hört sich einleuchtend an«, sagte ich.
»Eins ist sicher. R ockett reist nicht nachTexas, um sich Rodeos anzuschauen.«
»Nein«, pflichtete ich ihm bei.
Wieder Schweigen. Im Hintergrund hörte ichTelefone, stellte mir vor, dass Slidell an seinem Schreibtisch im Bereitschaftssaal saß.
» Was ist mit Ray Majerick?«
»Noch flüchtig.Aber wir kriegen ihn.«
» Was ist mit citizenjustice? Irgendwas Neues?«
»Hab’s an die Cyber-Jungs weitergeleitet, aber die stecken bis über beide Ohren inArbeit.«
Es klingelte an derTür. Meine Finger umklammerten den Hörer fester. Ich erwartete niemanden.
Es klingelte noch einmal.
Und noch einmal.
» Was ist da los?«
»Da ist jemand an derTür«, sagte ich zu Slidell. »Sie haben einen Streifenwagen draußen, richtig?«
»Einer jede Stunde. Mehr ging nicht. Das Department hat zu wenig Leute.«
»Bleiben Sie dran?«
»Ja.«
Es klingelte noch einmal.
Und viel zu schnell noch einmal.
Mit dem Schnurlosen in der Hand stieg ich dieTreppe hoch und versuchte, durch das Fenster zu sehen, das auf dasVordertreppchen hinausging. DieAußenbeleuchtung war ausgeschaltet. Unter dem Dachvorsprung erkannte ich einenTeil einer Männerschulter, ein Bein und abgewetzte Slippers.
»Soll ich einenWagen schicken?«, fragte Slidell.
Ich hob mir das Gerät ans Ohr.
» Warten Sie.«
Ich lief nach unten, schlich zurTür und drückte dasAuge ans Guckloch.
»O mein Gott …«
»Hallo, Doc?Alles okay?«
Schockiert schob ich den Riegel zurück und öffnete dieTür.
37
Sein Gesicht war eine Halloween-Maske, dieAugen waren dunkle Höhlen, dieWangen eingefallen, das Kinn dunkel von Stoppeln.
» R eden Sie mit mir.« Slidells gebellter Befehl krächzte aus dem Hörer.
»Ich bin okay.«
» Was zum –«
»Es ist ein Freund.« Neutral, um die Gefühle zu überdecken, die in mir aufwallten. »Es geht mir gut.Vielen Dank.«
Ich legte auf. Dann stand ich wie erstarrt da, wusste nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Sollte ich mich erfreut zeigen?Wütend? Gleichgültig?
Ich schaltete dieAußenbeleuchtung ein. Im weichen, gelben Licht sah ich rote Äderchen imWeiß seinerAugen.
»Du siehst beschissen aus.« Die witzigeVariante.
»Danke.« Ryans Stimme klang belegt und heiser.
»Soll ich mal versuchen, bei dir auf Neustart zu drücken?«
»Funktioniert nicht.«
»Komm rein.«
Er rührte sich nicht.
» Wenn ich dich da draußen stehen lasse, verlotterst du noch mehr und machst den
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