Totengeld (German Edition)
Nerven zu beruhigen.
Obwohl ich wusste, dass ich keinenAschenbecher hatte, ging ich in die Küche einen suchen. Kam mit einer Untertasse zurück.
Ryan klopfte sich eine Camel aus dem Päckchen.Als er sie anzündete, bemerkte ich, dass seine Hand zitterte.
»Schätze, jeder sucht sich sein eigenes Gift aus«, sagte er.
Ich sah zu, wie Ryan den Rauch tief einsaugte, ihn lange in der Lunge hielt und dann langsam durch die Nase ausließ.
»Man hat sie in einer verlassenen Doppelhaushälfte gefunden, die als Fixertreff benutzt wurde.«
Ich war einmal in so einer Heroinhöhle gewesen, zusammen mit einem Team, um eine Leiche zu bergen. Ich hatte das ganze Grauen noch gut vor Augen. Fleckige Matratze. Benutzte Nadeln. Ungeziefer. Der Gestank nach Urin und Fäkalien.
»Sie trug ein T-Shirt, das wir in Honolulu gekauft hatten. Sie liebte es, und ich musste den Spruch darauf auswendig lernen.«Wieder klang seine Stimme heiser. »Hele me kahau’oli.«
Ich strich ihm übers Gesicht.
»Gehe mit Freude«, übersetzte er.
»Ryan, du hast alles getan, was du konntest.«
EineTräne löste sich und rollte ihm dieWange hinunter. Er wischte sie grob mit dem Handrücken weg. Zog wieder an seiner Camel.
»Schätze, das war nicht genug.«
Was sollte ich darauf sagen?
Als Ryan von Lilys Existenz erfuhr, war sie bereits einTeenager. Er hatte sie als Baby nie imArm gehalten, nie kindliche Freuden mit ihr geteilt, sie nie getröstet. Ich wusste, er bedauerte seineAbwesenheit in ihrem Leben. Dass er sich verantwortlich fühlte für ihre Sucht. Für ihrenTod.
Nach dem Gesetz war Lily erwachsen. Ryan konnte ihr nicht mehr sagen, wie sie zu leben und was sie zu tun hatte.Trotzdem. Ich konnte mir meinen eigenen Kummer und die Selbstvorwürfe gut vorstellen, sollte Katy etwas passieren.
Eltern denken nicht rein rational. Man glaubt immer, man hätte mehr tun können. Gibt sich immer selbst die Schuld, wenn etwas schiefläuft.
»Ich hätte mich mehr auf Lily und weniger auf den Job konzentrieren sollen, auf Fremde, die meinen Namen nicht einmal kennen. Ich hätte mich voll und ganz auf sie konzentrieren müssen. Meine eigeneTochter.«
Ryans Schmerz war eine offeneWunde. Ich konnte absolut nichts tun außer zuhören.
»Komisch. Die Sachen, die einem wieder einfallen. BedeutungsloseAugenblicke. Eines Nachts kam sie in mein Schlafzimmer, um mir einen Song vorzuspielen, den sie sich von iTunes heruntergeladen hatte. Ich weiß noch genau, was es war. Israel Kamakawiwo’oles Over the Rainbow/Wonder ful World .«
Ryans gequälter Blick suchte mein Gesicht. »Ist das alles, was wir hatten,Tempe?Alles, was ich ihr je gegeben habe? Ein lausiger Urlaub in Hawaii?«
Ich legte meine Hand auf seine. »Natürlich nicht.«
» Warum ist dann jede meiner Erinnerungen mit dieser R eise verbunden?«
»Es ist noch zu früh.«
Er schnaubte leise. Schüttelte den Kopf.
»Du solltest hierbleiben«, sagte ich. »So lange du willst.«
»Ich muss los.« Er zog noch einmal tief an seiner Camel und drückte sie dann aus.
»Jetzt?« Ungläubig.
»Tut mir leid.« Er strich sich mit der Hand durch die ungewaschenen Haare. Die Geste war so vertraut, dass es mir das Herz zerriss.
» Wohin?«
» Weg.«
Ich schaute ihn fragend an.
»Ich muss mich bewegen. Bewegen und in Bewegung bleiben.«
»Ryan –«
»Tut mir leid.« Er stand auf und ging zurTür.
»Bitte.« Flehend. »Bleib.«
»Ich bin nicht in der Lage, mit anderen zusammen zu sein.«
» Wohin willst du?«
Er zögerte. »In den Süden.«
»Du kannst dasArbeitszimmer haben. Ich bin mit einem Fall beschäftigt. Du würdest mich kaum sehen.«
»Ich kann nicht.Tut mir leid.«
Er las in meinemAusdruck etwas, das ich nicht meinte.
»Du hast recht. Es war ein Fehler. Ich wollte nur …«
»Ein Fehler?« Ich versuchte, mir meineVerärgerung undVerletztheit nicht anmerken zu lassen.
»Ich wusste einfach nicht, wohin ich sonst sollte.«
»Bleib, Ryan.«
»Du kannst nichts tun. Kein Mensch kann irgendwas tun.«
Und damit ging er.
Ich lief zurTür und sah ihn langsam mit den Schatten verschmelzen. DieTränen brannten heiß auf meinenWangen.
Auf halbemWeg blieb er stehen, drehte sich um und kam langsam zurück.
»Es tut mir so leid.«
» Wenn du dir nur von mir helfen lassen würdest.«
»Das hast du bereits getan.«
Er breitete dieArme aus. Ich stürzte hinein. Sie schlossen sich um mich. Ich drückte meinen Körper an seinen.
Er umschlang mich fest. Ich roch schalen Rauch, Leder und
Weitere Kostenlose Bücher