Totengeld (German Edition)
ein blendend weißes Hemd. Noch immer keinen Fedora-Hut.
Dew und ich nahmen dieselben Sessel- und Sofapositionen ein wie bei Slidells Besuch. Im Gegensatz zu Skinny saß Dew kerzengerade da, dieAbsätze dicht nebeneinander, die riesigen Hände vor den riesigen Knien verschränkt. MeinAngebot von Kaffee oderTee lehnte er ab.
Dew hatte Folgendes zu berichten:
Zu Beginn seines zweiten Einsatzes lernte John-Henry Gross einen Angestellten einer privaten französischen Sicherheitsfirma namens Jean Pruet kennen. Pruet hatte sechs Jahre in Afghanistan zugebracht und in diesem Zeitraum fast zwei Millionen auf einem Schweizer Konto deponiert. Pruet kehrte nach Europa zurück und überließ Gross gegen eine Gebühr sein Netzwerk.
Das Projekt war alles andere als originell.Aber es war lukrativ.
Im Zentrum der Operation stand einAfghane namens Maroof Hayel, der Mann, der Khandan vor meinen Augen zurechtgewiesen hatte an demTag, als sie mich auf dem Basar ansprach. Hayel war KhandansVater undAras Onkel.
Hayel warb junge Mädchen an mit demVersprechen, ihnen oder ihren Eltern Jobs in denVereinigten Staaten zu verschaffen. Er versorgte sich vorwiegend in den Slums von Kabul, Charikar oder Dschalalabad, aber auch in den Dörfern der sie umgebenden Provinzen.
Hayel bekam 200 Dollar für jedes Mädchen, das er brachte. Ein Junge in Kabul, der mit Photoshop zaubern konnte, lieferte falsche Pässe und Visa für 40 Dollar pro Stück. Die Mädchen wurden von einer afghanischen Frau namens R eja Hamidi vom Khwaja Airport in Kabul nach Washington Dulles begleitet. Jedes Ti cket kostete etwa 1600 Dollar.
Die Mädchen wurden von Mrs. Tarzec oder einer ihrer Kolleginnen abgeholt und zu verschiedenen Orten in North Carolina gebracht. John-Henry Story bezahlte seinem Neffen 50 000 Dollar für jede gelieferte »Angestellte«, ohne Fragen zu stellen.
» Wenn man die R ückflugtickets für Hamidi einrechnet, betrugen Gross’Ausgaben weniger als fünftausend Dollar pro Mädchen.« Ich konnte denAbscheu in meiner Stimme nicht unterdrücken. »Damit verdiente er fünfundvierzigtausend Dollar proTransaktion.«
»Ja. Pruet verdiente ungefähr dasselbe, indem er sie nach Frankreich schickte.«
»O Gott.Wie kann jemand nur sein eigen Fleisch und Blut verkaufen?«
»InAras Fall war es ›ihr‹.«
» Wie bitte?« Ich verstand nicht, was Dew meinte.
»Es warAras Mutter, die sie Hayel übergeben hat.«
»Sie verkaufte ihre eigeneTochter?«
Die schneeweiße Baumwolle dehnte und entspannte sich wieder, als Dew ein- und dann wieder ausatmete.
»Aras Mutter ist eine Frau namens Gulpari. Mit sieben Jahren musste Gulpari mit ansehen, wie ihre Mutter vonTaliban-Kämpfern vergewaltigt wurde.Als GulparisVater dazwischengehen wollte, haben sie ihn erschossen.
Nach derVergewaltigung wurde die entehrteWitwe gemieden. Da sie keineAussicht auf eineWiederheirat hatte, ernährte und kleidete sie ihreTöchter Gulpari und Noushin durch Betteln und Erledigung niedererArbeiten.
Mit vierzehn wurde Noushin fortgeschickt, um einen Mann in einem Nachbardorf zu heiraten. Die Familie des Mannes ließ das Mädchen sechzehn Stunden pro Tag arbeiten und zwang sie, in ihrer unbeheizten Scheune zu schlafen. Als Noushin bei einem Fluchtversuch ertappt wurde, drückten ihr Mann und ihr Schwiegervater sie zu Boden und übergossen sie mit Säure. Zwei Tage später gelang es Noushin, ins Haus ihrer Mutter zurückzukehren. Sie starb zwei Tage später an Infektionen infolge der Verätzungen. Gulpari war damals zwölf.«
Dew starrte auf seine Hände hinunter und fuhr fort.
»Gulpari war fünfzehn, als sie von denTaliban vergewaltigt wurde.Wie ihre Mutter wurde sie in ihrem Dorf geschmäht und verachtet.Ara kam an Gulparis sechzehntem Geburtstag zurWelt.«
»Gulpari wollte fürAra ein besseres Leben.« Mir brach beinahe die Stimme.
Dew nickte, ohne den Kopf zu heben. »Als Hayel von Jobs inAmerika erzählte, glaubte Gulpari ihm. Er war ihr Bruder.Warum sollte er sie anlügen?«
»Hayel hatAra an Gross verkauft.«
»Für zweihundert Dollar.«
Ich stand auf, um das Feuer zu schüren. Ich musste mich einfach bewegen, auch wenn es nichts brachte. Um etwas ge gen die Wut und den Kummer zu tun, die mich zu über wältigen drohten.
»Nach John-HenrysTod betriebArcher die Geschäfte einfach weiter wie gewohnt?«Als ich in meinen Sessel zurückgekehrt war.
Dew räusperte sich. Zwei Mal. Schaute mir dann in dieAugen.
»Von den sechzehn Mädchen, die gegenwärtig in der Obhut des
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