Totengeld
Tüte und zog einen Karton heraus. Flach und rechteckig.
Wie derjenige, in dem D’Ostillos Zunge gelegen hatte.
Mit einem komischen Gefühl im Magen schaute ich mich um. Hinter uns liefen Studenten über den Campus. Auf der Radcliffe herrschte Verkehr, nicht sehr viel, aber genug, um mir ein Gefühl der Sicherheit zu geben.
»Für Sie, Doctor.« Blanton hielt mir den Karton hin. »Weil Sie so ein guter Soldat waren.«
»Ich habe nur meine Arbeit getan.«
»Dann nehmen Sie es als Dank dafür, dass Sie mein grässliches Benehmen klaglos hingenommen haben.«
Ich nahm den Karton und hob den Deckel an. Drinnen lag ein Paschmina-Tuch, ähnlich dem, das Katy und ich auf dem Basar in Bagram bewundert hatten.
Blanton war nach Charlotte gekommen und hatte mich ausfindig gemacht, nur um mir ein Tuch für zwei Dollar zu schenken?
»Ihre Miene sagt Stalker. Entweder das, oder Ihnen gefällt die Farbe nicht.«
»Es ist sehr schön. Nur unerwartet.«
»Ich war in der Gegend und dachte mir, vielleicht freuen Sie sich über ein Erinnerungsstück.«
Gastonia war gute vierzig Minuten entfernt. Wenn wenig Verkehr war.
»Hören Sie. Ich habe mich da drüben nicht von meiner besten Seite gezeigt. Ich war angespannt. Das Ungeziefer. Welsted hat mich wahnsinnig gemacht.« Schelmisches Grinsen. »Vergeben und vergessen?«
»Vergeben und vergessen.« Jetzt, da ich nicht mehr lief, fühlte sich die Brise auf der feuchten Haut und den schweißnassen Sachen kalt an. Ich fing an zu zittern. Blanton schien es nicht zu bemerken.
»Was wir getan haben, war wichtig, unabhängig vom Ausgang. Sheyn Bagh war eine üble Situation, in der es eigentlich keine Gewinner geben konnte. Wir haben der Gerechtigkeit Genüge getan.«
»Haben Sie mit Lieutenant Gross gesprochen?«
»Nein. Aber ich habe gehört, dass er unbedingt wieder in den Einsatz will.« Blanton starrte mich an, als wollte er mir ins Gehirn bohren. »Wie läuft die Arbeit? So viel zu tun wie drüben?«
»Hm.«
»Böse Menschen tun anderen Menschen böse Dinge an. Hoffentlich anderen bösen Menschen. Aber das ist nicht immer so, oder?«
Blanton beugte sich verschwörerisch zu mir. Er roch nach schalem Kaffee und Old Spice.
»Wir sehen es, nicht wahr? Das Böse. Tagein, tagaus. Nach einer Weile macht es einen ganz konfus. Wie kann guten Menschen eine solche Scheiße passieren? Menschen wie John Gross.«
Ich hielt das für ein schlechtes Beispiel, sagte aber nichts.
»Ich weiß ja nicht, wie’s Ihnen geht, aber ich glaube inzwischen, dass das Böse in dieser Welt wirklich existiert. Das echte, greifbare Böse. Man weiß nie, ob man eines Morgens aufwacht und es auf der eigenen Schwelle findet.« Blanton grinste selbstironisch.
»Na ja, ich philosophiere mal wieder. Und Sie stehen da und frieren.«
Blanton nahm das Tuch aus dem Karton in meinen Händen, faltete es auf und legte es mir um die Schultern. Als er sich über mich beugte, fiel mir auf seinem Hals ein Tattoo auf, irgendein chinesisches Symbol.
War ich die einzige Person auf diesem Planeten, die noch keine Tinte auf der Haut hatte?
»Passen Sie auf sich auf, Dr. Brennan.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, drehte Blanton sich um und ging davon. Ich sah ihm nach, bis er bei der Selwyn um die Ecke bog.
Danach fühlte ich mich sehr erleichtert.
Mein Gott. Warum war mir der Kerl so unheimlich?
Plötzlich fühlte sich mein Knöchel nicht mehr so gut an.
Ich joggte langsam nach Hause, duschte, aß eine Kleinigkeit und fuhr dann ins MCME .
Um halb fünf war ich mit dem Schädel fertig. Der unangenehme Teil war das Abkratzen der Kacke gewesen. Der Ausschluss eines Verbrechens war dagegen ein Kinderspiel.
Der Schädel war der eines jungen Erwachsenen, sehr wahrscheinlich indischer Abstammung. Die Schädelnähte und die Zähne ermöglichten die Altersbestimmung. Die ausgeprägten Brauenwülste, die vorspringende Nackenleiste und der große Warzenfortsatz verrieten mir das Geschlecht.
Die kleinen Schrauben, die den Unterkiefer am Schädel befestigten, sagten mir, dass der Schädel von einem schulischen Anschauungsskelett stammte. Zwar wurden schon seit zwanzig Jahren keine echten menschlichen Knochen mehr exportiert, davor aber war es legal und durchaus üblich, und die meisten menschlichen Skelette kamen aus Indien. Diese Tatsache deutete zusammen mit der Gesichtsarchitektur auf eine südasiatische Abstammung hin.
Ich schrieb einen Bericht in diesem Sinne. Nun war es an Larabee und, falls er die Sache
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