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Totengeld

Totengeld

Titel: Totengeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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Ellbogen auf den Knien, die Hände verschränkt zwischen ihnen.
    Er nahm die dampfende Tasse, drehte dann den Kopf, um zum Fenster hinauszustarren. Um mir nicht in die Augen sehen zu müssen?
    Ich setzte mich wieder in meinen Sessel und zog die Beine unter den Hintern. Machte mich gefasst auf das, was ich gleich hören würde. Die endgültige Trennung.
    Schließlich bewegte Ryan den Blick in meine Richtung. Er stellte seinen unberührten Kaffee ab. Räusperte sich. Schluckte.
    »Sie ist tot.«
    »Wer?« Völlig aus der Fassung gebracht. »Wer ist tot?«
    »Lily.« Ein ersticktes Flüstern.
    Seine Tochter. Das Aussprechen ihres Namens löste bei Ryan einen Sturzbach der Gefühle aus, die er zu verstecken versucht hatte. Seine Nasenflügel wurden weiß, der Atem kam abgehackt.
    In meiner Brust wurde es heiß. Tränen drohten.
    Nein!
    Ich stürzte zum Sofa, zog Ryan an mich und drückte ihn fest. Schluchzer ließen seine Schultern beben. Ich fühlte heiße Feuchtigkeit auf meinem T-Shirt.
    »Das tut mir so leid«, murmelte ich immer wieder, im Angesicht solch verheerenden Kummers fühlte ich mich hilflos. »Es tut mir so leid.«
    Nach einer Weile straffte Ryan sich wieder. Er löste sich von mir, setzte sich auf und strich sich mit den Händen über die Wangen.
    »Captain America meldet sich zum Dienst.« Er grinste verlegen.
    »Weinen ist gut, Ryan.«
    »Männertränen.«
    »Ja.«
    Er atmete tief ein und ließ die Luft langsam aus. »Ich dachte mir, du solltest es wissen.«
    »Natürlich.«
    Ryan zog ein Taschentuch aus der Jeans und schnäuzte sich.
    »Wann?«, fragte ich leise.
    »Vor zehn Tagen.«
    Kein Wunder, dass er auf meine Anrufe nicht reagiert hatte. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Doch es war unterlegt mit Schmerz. Warum hatte er sich nicht an mich gewandt?
    »Was ist passiert?«
    Ich war mir sicher, die Antwort bereits zu wissen. Ryan hatte mir die Geschichte seiner Tochter erzählt. Die Drogeneskalation, die schließlich in Heroinabhängigkeit gegipfelt war. Ein Dealer als Freund. Die Verhaftung wegen Ladendiebstahls. Ich war eine der wenigen, denen er sich anvertraut hatte.
    Im letzten Jahr jedoch schien Lily die Kurve gekriegt zu haben. Sie hatte glücklich gewirkt, einen Entzug gemacht und eine Reha besucht.
    Aber was wissen wir wirklich über andere?
    »Überdosis.« Ryan klopfte sich auf die Jackentaschen. Wurde sich dann bewusst, wo er war. Ließ die Hände in den Schoß sinken.
    »Ist okay, wenn du rauchst.« War es nicht. Ich hasse den Geruch, hasse, was Zigaretten mit Teppichen und Vorhängen anstellen. Mit Menschen. Aber Ryan brauchte eine Stütze, um die Nerven zu beruhigen.
    Obwohl ich wusste, dass ich keinen Aschenbecher hatte, ging ich in die Küche einen suchen. Kam mit einer Untertasse zurück.
    Ryan klopfte sich eine Camel aus dem Päckchen. Als er sie anzündete, bemerkte ich, dass seine Hand zitterte.
    »Schätze, jeder sucht sich sein eigenes Gift aus«, sagte er.
    Ich sah zu, wie Ryan den Rauch tief einsaugte, ihn lange in der Lunge hielt und dann langsam durch die Nase ausließ.
    »Man hat sie in einer verlassenen Doppelhaushälfte gefunden, die als Fixertreff benutzt wurde.«
    Ich war einmal in so einer Heroinhöhle gewesen, zusammen mit einem Team, um eine Leiche zu bergen. Ich hatte das ganze Grauen noch gut vor Augen. Fleckige Matratze. Benutzte Nadeln. Ungeziefer. Der Gestank nach Urin und Fäkalien.
    »Sie trug ein T-Shirt, das wir in Honolulu gekauft hatten. Sie liebte es, und ich musste den Spruch darauf auswendig lernen.« Wieder klang seine Stimme heiser. »Hele me kahau’oli.«
    Ich strich ihm übers Gesicht.
    »Gehe mit Freude«, übersetzte er.
    »Ryan, du hast alles getan, was du konntest.«
    Eine Träne löste sich und rollte ihm die Wange hinunter. Er wischte sie grob mit dem Handrücken weg. Zog wieder an seiner Camel.
    »Schätze, das war nicht genug.«
    Was sollte ich darauf sagen?
    Als Ryan von Lilys Existenz erfuhr, war sie bereits ein Teenager. Er hatte sie als Baby nie im Arm gehalten, nie kindliche Freuden mit ihr geteilt, sie nie getröstet. Ich wusste, er bedauerte seine Abwesenheit in ihrem Leben. Dass er sich verantwortlich fühlte für ihre Sucht. Für ihren Tod.
    Nach dem Gesetz war Lily erwachsen. Ryan konnte ihr nicht mehr sagen, wie sie zu leben und was sie zu tun hatte. Trotzdem. Ich konnte mir meinen eigenen Kummer und die Selbstvorwürfe gut vorstellen, sollte Katy etwas passieren.
    Eltern denken nicht rein rational. Man glaubt immer, man hätte

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