Totengeld
Schießtraining in Quantico absolviert, aber –«
»Ich bin unterwegs zum Schießstand. Wollen Sie mitkommen?«
»Waffen sind nicht wirklich mein –«
»Eine Frau braucht gewisse Fähigkeiten, vor allem hier.«
Da sie mein Schweigen als Zustimmung nahm, führte Welsted mich am Ellbogen zu dem Transporter, der uns hergebracht hatte. Während der Fahrt stellte sie eine beunruhigende Begeisterung für und ein enzyklopädisches Wissen über Feuerwaffen zur Schau.
»Da haben wir die automatischen Gewehre M16, M4 Karabiner und M27. Scharfschützengewehre wie das M110 und M40. Die halbautomatische Schrotflinte M1014. Benutzt von den Streitkräften in Großbritannien, Australien, Malaysia, Slowenien und von der Polizei in L. A. Nettes Ding. Unter einem Meter lang. Nur ungefähr vier Kilo.«
Welsted hatte noch nie eine Waffe kennengelernt, die sie nicht mochte.
»Ich halte mich lieber an Handfeuerwaffen.«
»Die sind eher was für zu Hause, wenn Sie wissen, was ich meine.« Welsted zwinkerte tatsächlich.
Der Schießstand war ein Freiluftgelände am Rand des Stützpunkts. Hinter den Pfosten mit den Zielscheiben und dem äußeren Begrenzungszaun erstreckte sich Meile um Meile eine Ödnis aus Fels und Sand. Ganz in der Ferne erhob sich ein ummauertes Dorf wie ein winziger, wabernder Höcker in der endlosen Weite.
»Bin gleich wieder da«, sagte Welsted, nachdem sie uns angemeldet hatte.
Das war sie auch. Mit einer Waffe, die mir vertraut war.
»Beretta M9. Halbautomatik. Reichweite fünfzig Meter. Wechselmagazin mit fünfzehn Schuss.«
Ich nahm die Beretta. Dabei fiel mir wieder ein, dass ich sie mochte. Nicht zu groß, nicht zu schwer. Liegt gut in der Hand. Der Griff fühlte sich gut an.
»Reuben wird Ihnen helfen. Wir sehen uns in sechzig Minuten.«
Welsted ging zu einem Stand vier Ziele von meinem entfernt.
Reuben war ein kräftiger Schnurrbartträger und eindeutig keine Quasselstrippe. Er gab mir Ohrstöpsel und Schutzbrille, zog eine Zielscheibe auf und sah mir beim Schießen zu. Nach einigen Ratschlägen zu Griff und Körperhaltung ließ er mich allein.
Nach einer Stunde Üben hinterließ ich einen engen Kreis aus Löchern in der schwarzen Mitte der menschenförmigen Zielscheibe.
Ich zog eben die Ohrstöpsel aus den Ohren, als Welsted wieder auftauchte, das Gesicht gerötet vor Hitze oder Aufregung.
»Gut?«, fragte sie.
»Gut«, sagte ich.
Reuben erschien wieder, als Welsted den Transporter rief. Ich gab ihm die Beretta und die Schutzbrille. Dankte ihm.
Wir waren kaum losgefahren, als Welsted eine Nummer in ihr Handy tippte. Was ich von dem Gespräch mitbekam, deutete darauf hin, dass sie die Arrangements für den nächsten Tag bestätigte. Höflichkeit war nicht gerade die Stärke dieser Frau.
Ich schaute auf mein iPhone. Kein Signal.
»Ganz schön nervig, mit diesen Leuten umgehen zu müssen.« Welsted steckte sich das Gerät in eine Tasche ihrer Tarnhose. »Die Gebräuche ändern sich von Stamm zu Stamm, meistens sind es nur geringfügige Unterschiede. Es zahlt sich aus, wenn man sich darum kümmert, dass alle auf derselben Wellenlänge sind.«
»Damit es keine Überraschungen gibt.«
»Es kommt hier ziemlich selten vor, dass Überraschungen was Gutes bringen.«
Allgemeiner Grundsatz oder persönliche Erfahrung?
Nach zwei weiteren Telefonaten drehte Welsted sich um und deutete mit dem Daumen zum Fenster.
»Das Green Bean müssen Sie probieren. Die haben einen irren Kaffee.«
Bis auf die Waffen, die Kampfmonturen und das Schild mit der Aufschrift »Salutieren hier nicht erforderlich« hätte dieser Platz auch ein Treffpunkt auf irgendeinem Collegecampus sein können.
Schrecklich junge Männer tranken im Schatten eines Sonnendachs aus Pappbechern. Ein Paar hatte die Köpfe zusammengesteckt und las gemeinsam etwas. Eine Frau schrieb alleine an einem Picknicktisch, ihre kurzen, braunen Haare glänzten in der Sonne.
Waren die Männer eben aus einem Konvoi gesprungen, oder bereiteten sie sich auf die Abfahrt vor? Überlegte sich das Paar, welchen Film es sich anschauen wollte? Schrieb die Frau eine Postkarte nach Hause?
Wie viele von ihnen würden in einem Jahr noch am Leben und unversehrt sein?
Wieder suchten meine Augen reflexhaft nach Katy.
Und wieder meldete sich das schlechte Gewissen.
»Wie wär’s jetzt mit ’ner Tasse Java?«, fragte Welsted.
»Ich sollte in mein Quartier gehen und die Fallakte lesen.«
Und meine Mails checken.
»Ihre Entscheidung.«
Zurück in meiner
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