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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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wie ein Spinner anzuhören, hatte ich nichts anderes zu tun, als Lexies Leben zu leben. Es erfüllte mich bis in die Zehenspitzen mit einem schadenfrohen, faulen, tollkühnen Gefühl, wie wenn du an einem wunderschönen Frühlingstag die Schule schwänzt und genau weißt, dass deine Klasse heute Frösche sezieren muss.
    Am Dienstag ging ich wieder zur Uni. Trotz der zahllosen neuen Möglichkeiten, die ganze Sache in den Sand zu setzen, freute ich mich darauf. Ich fand das Trinity wunderbar. Es besteht noch immer aus jahrhundertealtem, elegantem grauen Naturstein, roten Ziegeln, Pflastersteinen. Du kannst förmlich spüren, wie Generationen um Generationen von Studenten neben dir über den Front Square strömen, wie dein Abdruck der Luft hinzugefügt wird, archiviert, aufbewahrt. Wenn nicht jemand beschlossen hätte, mir das College zu vergraulen, wäre aus mir vielleicht auch ein ewiger Student geworden, wie meine vier Mitbewohner. Stattdessen – und vermutlich auch wegen der betreffenden Person – wurde ich Detective. Mir gefiel der Gedanke, dass sich mit diesem Fall für mich ein Kreis schloss, dass ich den Platz, den ich verloren hatte, wieder einnahm. Es kam mir vor wie ein seltsamer, verspäteter Sieg, wie etwas, das allen lächerlichen Widrigkeiten zum Trotz für mich aufbewahrt worden war.
    »Stell dich darauf ein, dass die Gerüchteküche überkocht«, sagte Abby im Auto. »Da ist die Rede von einem Koksdealer, dem du das Geschäft vermasselt hast, oder von einem illegalen Einwanderer – du hast ihn wegen Geld geheiratet und dann erpresst –, oder aber es war ein brutaler Exfreund, der im Knast war, weil er dich verprügelt hat, und gerade erst entlassen worden ist. Mach dich auf was gefasst!«
    »Oder aber, so vermute ich«, sagte Daniel und manövrierte sich an einem Ford Explorer vorbei, der zwei Spuren blockierte, »wir alle waren es, einzeln oder in diversen Kombinationen und mit diversen Motiven. Es hat uns zwar noch keiner ins Gesicht gesagt, klar, aber die Schlussfolgerung liegt nahe.« Er bog in die Einfahrt zum Trinity-Parkplatz und hielt dem Wachmann seinen Ausweis hin. »Wenn die Leute dir Fragen stellen, was willst du sagen?«
    »Weiß ich noch nicht«, sagte ich. »Ich dachte, ich sag, ich bin die verschollene Erbin irgendeines Throns, und eine rivalisierende Gruppe wollte mich ausschalten, aber mir ist noch kein passender Thron eingefallen. Seh ich aus wie eine Romanow?«
    »Und wie«, sagte Rafe. »Die Romanows waren ein Haufen willensschwacher Spinner. Das haut hin.«
    »Sei nett zu mir, sonst sag ich allen, du wärst im Drogenrausch mit einem Hackebeil auf mich losgegangen.«
    »Das ist nicht lustig«, sagte Justin. Er hatte sein Auto stehen lassen – ich hatte den Verdacht, sie wollten im Augenblick alle beieinanderbleiben – und saß hinten bei mir und Rafe, rieb Schmutz von der Fensterscheibe und wischte sich die Finger an seinem Taschentuch ab.
    »Na ja«, sagte Abby, »letzte Woche war es wirklich nicht lustig, nein. Aber jetzt, wo du wieder da bist … « Sie drehte den Kopf und grinste mich über die Schulter an. »Vier-Titten-Brenda hat mich gefragt – du kennst ja diesen fiesen vertraulichen Flüsterton? –, ob vielleicht ›bei einem von den Spielchen was schiefgelaufen ist‹. Ich hab sie nur mit Schweigen bestraft, aber jetzt denk ich, ich hätte ihr den Tag versüßen können.«
    »Mich wundert ja«, sagte Daniel und öffnete seine Tür, »dass sie so fest entschlossen ist, uns für wahnsinnig interessant zu halten. Wenn die wüsste.«
    Sobald wir aus dem Wagen gestiegen waren, bekam ich zum ersten Mal einen richtigen Eindruck von dem, was Frank gesagt hatte, wie die vier auf Außenstehende wirkten. Als wir den langen Weg zwischen den Sportplätzen entlanggingen, geschah etwas, eine Veränderung, so unmerklich und eindeutig, wie Wasser zu Eis wird: Sie rückten näher zueinander, Schulter an Schulter und im Gleichschritt, machten den Rücken gerade, hoben den Kopf, setzten eine ausdruckslose Miene auf. Die Fassade war vollkommen, noch ehe wir das Gebäude der Geisteswissenschaften erreichten, eine so undurchdringliche Barrikade, dass sie beinahe sichtbar war, kühl und funkelnd wie ein Diamant. Wenn irgendwer im Laufe dieser ersten Woche am College versuchte, einen besseren Blick auf mich zu bekommen – an den Bibliotheksregalen entlang zu der Ecke schlich, wo wir unsere Arbeitsplätze hatten, in der Cafeteria um eine Zeitung herumschielte –, schwenkte diese Barrikade

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