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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tana French
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herum wie eine römische Schildformation, konfrontierte die aufdringliche Person mit vier teilnahmslosen, starren Augenpaaren, bis sie den Rückzug antrat. Es würde schwierig werden, Klatschgeschichten zu sammeln. Sogar Vier-Titten-Brenda verschlug es die Sprache, als sie sich vor meinem Schreibtisch herumdrückte, und dann fragte sie bloß, ob ich ihr einen Stift borgen könnte.
    Lexies Dissertation entpuppte sich als unterhaltsamer, als ich gedacht hatte. Das wenige, was Frank mir gegeben hatte, handelte überwiegend von den Brontës, Currer Bell als die Verrückte in der Dachkammer, die sich von der spröden Charlotte freimachte, Wahrheit im Pseudonym. Nicht gerade angenehme Lektüre unter den gegebenen Umständen, aber mehr oder weniger zu erwarten. Woran sie kurz vor ihrem Tod gearbeitet hatte, war erheblich peppiger: Rip Corelli, Autor von Mord im Cocktailkleid , entpuppte sich als Bernice Matlock, eine Bibliothekarin aus Ohio, die ein tadelloses Leben geführt und in ihrer Freizeit blutrünstige Bücher geschrieben hatte. Ich fand Gefallen daran, wie Lexies Verstand gearbeitet hatte.
    Ich hatte mir Sorgen gemacht, ihr Doktorvater würde von mir bald erste wissenschaftlich fundierte Früchte erwarten – was Lexie zu Papier gebracht hatte, war ja intelligent und originell und gut durchdacht, und ich war seit Jahren aus der Übung. Ich hatte mir überhaupt wegen ihres Doktorvaters Sorgen gemacht. Die Studenten in ihren Tutorenkursen würden den Unterschied nicht merken – für Achtzehnjährige sind die meisten Leute über fünfundzwanzig bloß allgemeines erwachsenes weißes Rauschen –, aber jemand, der sie in seinen Sprechstunden bestimmt gut kennengelernt hatte, war etwas ganz anderes. Ein einziges Gespräch mit ihm beruhigte mich. Er war ein knochiger, sanftmütiger, zerstreuter Typ, den der ganze »unselige Vorfall« dermaßen gelähmt hatte, dass er mir kaum in die Augen blicken konnte, und er sagte, ich könne mir so viel Genesungszeit wie nötig nehmen und solle mir wegen irgendwelcher Termine bloß keine Gedanken machen. Ich schätzte, es war aushaltbar, ein paar Wochen in der Bibliothek zu hocken und etwas über hartgesottene Privatdetektive und Frauen zu lesen, die immer bloß Ärger brachten.
    Und am Abend kümmerten wir uns ums Haus. Wir steckten fast jeden Tag etwas Zeit in die Renovierung, manchmal ein oder zwei Stunden, manchmal nur zwanzig Minuten: die Treppe abschleifen, eine Kiste mit Onkel Simons Plunder durchsehen, abwechselnd die Stehleiter hochsteigen, um die uralten, brüchigen Lampenfassungen auszutauschen. Für die miesesten Arbeiten – Flecken von den Klos schrubben – wurde genauso viel Zeit und Sorgfalt eingesetzt wie für die interessanten. Die vier behandelten das Haus wie ein kostbares Musikinstrument – eine Stradivari oder einen Bösendorfer –, das sie wiedergefunden hatten, nachdem es lange verloren war, und mit geduldiger, verzückter, bedingungsloser Liebe restaurierten. Ich glaube, ich habe Daniel nie entspannter gesehen als in einer abgetragenen alten Hose und im karierten Hemd flach auf dem Bauch liegend, die Fußleisten streichend und über irgendeine Geschichte lachend, die Rafe gerade erzählte, während Abby sich über ihn beugte, um ihren Pinsel einzutauchen, während ihr Pferdeschwanz ihm einen Farbstrich über die Wange zog.
    Sie waren sich körperlich ausgesprochen nah, alle vier. An der Uni fassten wir einander nie an, aber zu Hause berührte irgendwer ständig irgendwen: Daniels Hand auf Abbys Kopf, wenn er hinter ihrem Stuhl vorbeiging, Rafes Arm auf Justins Schulter, wenn sie irgendeinen Gästezimmerfund zusammen studierten, Abby, die sich auf der Terrassenschaukel quer über meinen und Justins Schoß ausstreckte, Rafe, der die Füße über Kreuz auf meine legte, wenn wir am Kamin saßen und lasen. Frank machte vorhersehbare blöde Bemerkungen über Homosexualität und Orgien, aber ich hatte die Antennen ausgefahren, ob irgendwelche sexuellen Schwingungen wahrzunehmen waren – das Baby –, aber ich empfing keine. Es war seltsamer und stärker als das: Sie hatten keine Grenzen, nicht untereinander, nicht so wie die meisten Menschen. In Wohngemeinschaften werden normalerweise hitzige Revierkämpfe ausgefochten – nervöse Verhandlungen über die Fernbedienung, Diskussionen, ob Brot für alle da ist oder jeder sein eigenes kauft, Robs Mitbewohnerin war immer drei Tage lang nicht ansprechbar gewesen, wenn er mal was von ihrer Butter genommen hatte. Aber

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